Pressemitteilung 2021/201 vom

Die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP haben begonnen. Der Politikwissenschaftler Dr. Hendrik Träger von der Universität Leipzig geht davon aus, dass sich die drei Parteien zügig auf eine Koalitionsvereinbarung einigen werden, so dass die neue Regierung im Dezember steht. Der neue Bundeskanzler und sein Kabinett müssen sich bei der Umsetzung ihrer Reformpläne jedoch auf Gegenwind aus dem Bundesrat gefasst machen, so Träger.

In den Verhandlungen zur Ampel-Koalition müssen sich drei Partner auf gemeinsame Ziele einigen. Wie groß werden aus Ihrer Sicht die Zugeständnisse sein, die SPD, Grüne und FDP machen müssen? 

Bei einer Dreierkonstellation muss jede der Parteien Kompromisse eingehen und kann nicht ihre Maximalforderungen durchsetzen. Schon bei zwei Parteien ist es nicht immer einfach, sich auf einen Kompromiss zu verständigen und bei drei Parteien wird es nicht leichter. 

Am Ende wird vielleicht jede der drei Parteien bestimmte Leuchtturmprojekte in den Koalitionsverhandlungen durchbringen und versuchen, diese in der Legislaturperiode umzusetzen, beispielsweise durch Gesetzgebungsprozesse oder das Entwickeln von Förderprogrammen. Bei den Grünen könnte so ein Projekt im Bereich Klimaschutz liegen, bei der FDP im Bereich Digitalisierung und bei der SPD im Bereich Sozialpolitik, beispielsweise beim Thema bezahlbares Wohnen oder Mindestlohn. Die Parteien haben bei den Verhandlungen auch zu berücksichtigen, dass sie der eigenen Basis erklären müssen, warum es sich lohnt, in diese Koalition zu gehen. Diskussionen könnte es auch über die Besetzung und den Zuschnitt einiger Ministerien geben.

Die Parteien haben aus meiner Sicht die gleichen Chancen in diesem Aushandlungsprozess, denn keine Partei kann es sich leisten, sich aus den Koalitionsverhandlungen ergebnislos zurückzuziehen. Andere Optionen der Regierungsbildung, zum Beispiel ein ‚Jamaika‘-Bündnis oder eine Große Koalition, sind zwar rein rechnerisch möglich, aber praktisch nicht umsetzbar, weil die Union in ihrer gegenwärtigen Situation kein verhandlungsfähiger Gesprächspartner ist. Somit kann keine der drei verhandelnden Parteien mit Alternativen jenseits der Ampel-Koalition drohen.

Der Begriff „Reformregierung“ macht die Runde. Wird die Ampel-Koalition tatsächlich so viele Neuerungen umsetzen?

Eine neue Regierung braucht eine politische Rahmenerzählung darüber, was sie erreichen will. Wir haben in der Geschichte der Bundesrepublik oft gesehen, dass sich neue Koalitionen als Reformprojekte präsentiert haben. Ich denke zum Beispiel an die neue Ostpolitik der ersten sozial-liberalen Koalition 1969, an die sogenannte „geistig-moralische Wende“ der konservativ-liberalen Koalition Anfang der 80er Jahre oder an die rot-grünen Reformen unter Kanzler Schröder. 

Die künftigen Koalitionsparteien haben offenbar auch den Ehrgeiz, Reformen durchzusetzen. In der Ampel-Koalition bieten sich dafür beispielsweise gesellschaftspolitische Themen an, weil es in diesen Politikfeldern größere Schnittmengen zwischen SPD, Grünen und FDP gibt als bei SPD und Union in der bisherigen Großen Koalition.

Der Weg wird für künftige Bundesregierung allerdings nicht einfach sein, weil die Koalition unter Umständen den Bundesrat zum Realisieren ihrer Reformen braucht, wenn es sich um Zustimmungsgesetze handelt. Im Bundesrat hat die Ampel-Koalition keine eigene Mehrheit und wird mit den Bundesländern, in denen die Union mitregiert, Kompromisse finden müssen.

Wird die neue Regierung wirklich im Dezember stehen?

Die Sondierungsgespräche sind erstaunlich schnell verlaufen, schneller als ich erwartet habe. Nach der Bundestagswahl sah es zunächst danach aus, als ob sich die Sondierung ziemlich lange hinziehen würde, doch bereits knapp drei Wochen nach der Bundestagswahl haben die drei Parteien ein Sondierungspapier vorgelegt. 

Die Verhandlungspartner sind offenbar kompromissbereit, arbeiten in einem vertrauensvollen Verhältnis zusammen und sind willens, diese Regierung zu bilden. Die Koalitionsverhandlungen werden zudem arbeitsteilig vonstattengehen: 22 Arbeitsgruppen werden sich mit verschiedenen Politikfeldern beschäftigen, in denen die jeweiligen Expert:innen aus den Parteien parallel tagen.

Ich denke, die Koalitionsverhandlungen können durchaus in vier bis fünf Wochen erfolgreich in eine Koalitionsvereinbarung münden. Wenn die Koalition von der Basis der drei beteiligten Parteien Anfang Dezember ‚abgesegnet‘ wird, können bis Mitte Dezember der Bundeskanzler gewählt und das Kabinett vereidigt werden.

 

Hinweis:

Dr. Hendrik Träger ist einer von mehr als 150 Experten der Universität Leipzig, auf deren Fachwissen Sie mithilfe unseres Expertendienstes zurückgreifen können.