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Aufgrund ihrer ethnischen, sexuellen, geschlechtlichen oder religiösen Identität bzw. ihres politischen oder bürgerschaftlichen Engagements unterliegen weltweit unzählige Studierende sowie Doktorand:innen der Gefährdung, dass ihnen in ihrem Herkunftsland formal oder de facto das Recht auf Bildung und/oder andere Grundrechte verweigert werden. Ein nicht unerheblicher Anteil dieser jungen Menschen ist dabei mehrfacher bzw. intersektionaler Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt. Einer von ihnen ist Menschenrechtsaktivist Milad Ahmad Amanzai. Er studierte bis zur Machtübernahme der Taliban im August 2021 Bauingenieurwesen an der Universität Kabul. Sein Studium kann er nun in Leipzig fortsetzen – dank des Hilde-Domin-Stipendienprogramms vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD).

An der Universität Leipzig wird das 2021 aufgelegte Programm von Helen Matthey koordiniert, die an der Stabsstelle Internationales als Beraterin von internationalen Studierenden tätig ist. Sie prüft, ob die Personen die Voraussetzungen erfüllen, um in Deutschland studieren zu können und ob ihr Studienwunsch mit dem Angebot der Universität Leipzig übereinstimmt: „Seitdem das Programm ausgeschrieben ist, haben wir mehrere hundert Anfragen erhalten. Tatsächlich fast ausschließlich aus Afghanistan, aber vereinzelt auch aus der Türkei und neuerdings vermehrt aus dem Sudan. Sehr viele Anfragen fallen leider per se schon durchs Raster, weil die Auswahlkriterien allein für die Nominierung sehr hoch sind. Es ist dabei beinahe ernüchternd, die vielen hoffnungsvollen Anfragen zu bearbeiten“, erklärt Helen Matthey. 

Neben den Formalien, wie Zeugnissen und anderen Dokumenten beinhaltet die Nominierungsanfrage der Studierenden und Promovierenden auch eine Darstellung ihrer Gefährdungslage: „Ich bekomme sehr aufwühlende Beweise, in welcher Form sie verfolgt sind und dafür, was sie bereits erlebt haben während dieser Verfolgung. Es können Todesdrohungen sein, die schriftlich mitgesendet werden, beispielsweise der Taliban. Das können Fotos sein von Anschlägen, die sie überlebt haben. Das sind häufig auch sehr detailreiche Schilderungen ihres Fluchtweges, ihres sehr häufigen Ortswechsels, aus denen mich dann auch jeweils die E-Mails erreichen. Das Lesen dieser tragischen Lebensumstände kann sehr belastend sein“, berichtet sie weiter. 

„Nachdem die Taliban an die Macht kamen, war das Leben in Afghanistan, nicht mehr so, wie es sein sollte“

Milad Ahmad Amanzai

Der 19. Juli 2023 war vor diesem Hintergrund ein ganz besonderer Tag für die Beraterin: „Ich bekam an diesem Tag plötzlich eine E-Mail von Milad aus Afghanistan, den ich für die Nominierung vorgeschlagen hatte und mit dem ich bereits seit Januar letzten Jahres in Kontakt stand. In dieser Mail schrieb er mir, dass er das Stipendium tatsächlich bekommen hatte. Ich habe das bestimmt fünfmal gelesen, weil ich dachte, mich verlesen zu haben. Ich habe das wirklich für nahezu unmöglich gehalten, dass über das Programm jemand zu uns kommen würde.“ 

Milad Ahmad Amanzai ist Menschenrechtsaktivist und studierte bis zur Machtübernahme der Taliban im August 2021 Bauingenieurwesen an der Universität Kabul. Dank des Hilde-Domin-Stipendiums kann er sein Studium an der Universität Leipzig nun im International Physics Studies Program (Honours) B. Sc. fortsetzen und wird dabei dreieinhalb Jahre lang finanziell unterstützt. Vom DAAD wurde er aufgrund seines fachlichen Hintergrundes, seiner starken Leistungen sowie seines zivilgesellschaftlichen Engagements in Afghanistan für das Stipendium ausgewählt.

„Nachdem die Taliban an die Macht kamen, war das Leben in Afghanistan, nicht mehr so, wie es sein sollte. Ich war mitten in meinem Studium und konnte es aufgrund der Situation plötzlich nicht mehr weiterführen, weshalb ich dringend nach einer Möglichkeit suchte, irgendwo weiter studieren zu können. So stieß ich auf das Hilde-Domin-Stipendium des DAAD“, erzählt Milad, der seit Anfang April 2024 in Leipzig wohnt und zuvor einen viermonatigen Deutschsprachkurs in Berlin absolvierte. „Den Start meines Studiums an der Universität Leipzig sehe ich als absoluten Neubeginn. Hier anzukommen war mit einem unbeschreiblichen Gefühl von Freude und Erleichterung verbunden. Ich bin jetzt frei. Der ganze Druck der letzten Zeit kann nun von mir abfallen. Ich bin wirklich sehr stolz darauf, hier an der Uni studieren zu können, da ich weiß, dass sie die zweitälteste in Deutschland ist und bereits hochangesehene Persönlichkeiten hervorbrachte“, schildert der 25-Jährige weiter. 

Weiterer Stipendiat kommt nach Leipzig

In sein neues Leben in Deutschland findet sich Milad nun nach und nach ein und lernt dabei auch abseits seines Studienalltags viel Neues dazu. So erklärt er beispielsweise, dass er vor seiner Ankunft in Berlin noch nie Zug gefahren war, da Züge in Afghanistan ausschließlich für den Transport von Waren genutzt werden und die Menschen vor Ort die meiste Zeit mit dem Taxi fahren, was dort sehr günstig sei. 

Von Milads neuen Erfahrungen könnte im kommenden Wintersemester dann auch der zweite Hilde-Domin-Stipendiat an der Universität Leipzig profitieren. Rahmatullah Azimi wird hier den MBA Small Enterprise Promotion und Training studieren. „Mit Rahmatullah bin ich bereits seit Juni 2023 in schriftlichem Kontakt. Er wird jetzt im Mai zu einem vorgeschalteten Deutschkurs nach Deutschland reisen. Er hat seinen Bachelor of Management Studies an der University of Delhi abgeschlossen und ist ziviler Aktivist, Journalist sowie Gründer von diversen Bildungseinrichtungen in Afghanistan, die Kurse für Mädchen und Frauen, denen der Schulbesuch verwehrt wurde, anbieten. Für den Studiengang Small Enterprise Promotion and Training (SEPT) ist er somit ein aussichtsreicher Student mit sehr passendem und vielfältigem Profil “, freut sich Helen Matthey, deren aufwändige Koordination des Hilde-Domin-Stipendiums an der Universität Leipzig sich in diesem Jahr gleich doppelt auszahlt. 

Das Hilde-Domin-Stipendienprogramm gibt es seit 2021. Es soll Studierenden sowie Doktorand:innen die Chance geben, ein Studium in Deutschland aufzunehmen oder fortzusetzen, um einen Studien- oder Promotionsabschluss an einer deutschen Hochschule zu erlangen. Pro Semester werden deutschlandweit 25 Stipendien dieser Art vergeben. Potenzielle Kandidat:innen können sich dabei nicht selbstständig auf das Stipendienprogramm bewerben, sondern werden von der jeweiligen Hochschule nominiert. Geeignete Bewerber:innen wählt daraufhin der DAAD selbst aus, wobei sowohl die Gefährdung als auch die akademische Leistungsfähigkeit beurteilt werden.