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Bei der zweiten Tagung des Projektes Witra-KuBi ging es darum, wie Zugänge zu kultureller Bildung geschaffen werden können, die Wissenschaft und Praxis gleichermaßen einbinden.

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Ein Beitrag von Malin Nissen

Transfer von Wissenschaft in die Praxis – ist das Thema nicht schon ausreichend besprochen? Die einfache Antwort auf diese etwas flapsige Frage lautet: Nein! Mit diesen deutlichen Worten leitetet Projektleiterin Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiß in die zweite Tagung des Projekts Witra-Kubi ein.

Wissenstransfer heiße nicht nur komplexe Sachverhalte verständlich machen, sondern auch, eine andere Perspektive anzunehmen. Perspektivwechsel sei eines der fundamentalsten Merkmale von Bildung.

Es zeigt sich auch bei dieser Tagung, dass Teilnehmende aus Wissenschaft und kulturellen Bildungseinrichtungen überproportional vertreten sind. Aus ganz Deutschland und sogar den deutschsprachigen Nachbarländern haben sich Teilnehmende an diesem Montag zugeschaltet. Doch wo ist die kulturelle Praxis? Wie können Zugänge geschaffen werden, die die Theorie und Praxis gleichermaßen in die Entwicklung kultureller Projekte einbeziehen? Genau darum soll es bei dieser Tagung gehen: Zugänge zu kultureller Bildung. Was es dafür braucht, wie das funktionieren kann, und welche Hürden dafür überwunden werden müssen.

 

Julia Alfandari und Ulaş Aktaş sprechen über ihre eigenen Erfahrungen aus ihrer Arbeit in der Diskriminierungsforschung. Aktaş betont vor allem die Perspektive der Kunst, die sich zunehmend dem Zwang zur Effizienzsteigerung untergeordnet sehe. Theorie und Praxis seien immer aufeinander angewiesen und besonders die Praxis zehre von der Kraft der Theorie, praktischen Diskriminierungserfahrungen etwas entgegen setzen zu können.

Er konkretisiert das am Beispiel von Kultur- und kulturellen Bildungseinrichtungen, die sich unter einem Legitimationszwang und stetem Wandel befänden. Die Ökonomisierung jeglicher Lebensbereiche mache auch vor Kunst und Kultur nicht Halt und konfrontiere diese mit der doppelten Herausforderung, diese Hürden zu überwinden und sich zeitgleich ständig selbst kritisch zu hinterfragen, sich sozusagen stetig „digital neu erfinden zu müssen“. Gerade unter den Strapazen der Pandemie sei es manchmal die größte Herausforderung, sich überhaupt zum Weitermachen aufzuraffen. Dies schränke natürlich auch Möglichkeiten und Kapazitäten für Engagement für Andere ein und sei ein Problem, das nicht nur die Bereiche Kunst und Kultur erleben.

 

Und dann folgt Julia Alfandaris ausgesprochen eindrückliche Beschreibung ihrer eigenen Erfahrungen mit Ausgrenzung und Vorurteilen, die sie in ihrer Arbeit mit Jugendlichen bereits etliche Male erlebt hat. Sie arbeitet in Bildungsprojekten, die sich mit der Verbindung von Jüdischem Wissen und kultureller Bildung befassen. Die Erfahrung aus ihrer Arbeit an einer Gesamtschule in Thüringen, die Julia Alfandari schildert, bewegt, schockiert, und regt zum Nachdenken an. Dabei ist es ganz egal, wo in Deutschland Alfandari gerade arbeitet, ähnliche Erfahrungen hat sie auch in multikulturellen Städten wie Berlin gemacht.

Sie berichtet abgeklärt, wie es nur jemand kann, der diese Erfahrungen bereits etliche Male gemacht haben muss, wie sie von Jugendlichen, von denen nicht wenige aus rechts eingestellten Haushalten stammen, auf abwertende Weise mit ihrem eigenen Jüdisch-Sein konfrontiert wird. Das Wort ‚Nazi‘ ist hier kein Schimpfwort, sondern viel eher eine gern genutzte Selbstbeschreibung. Wie ‚gewöhnlich‘ solche Vorkommnisse sind, beweist nicht zuletzt der Mangel an Einsatz und Gegenwehr seitens des Lehrpersonals – „Sie müssen das verstehen, viele der Eltern sind halt einfach rechts“. Beispiele wie diese zeigen, wie schwer, aber auch wie wichtig Julia Alfandaris Arbeit ist. Abwertende Bemerkungen lässt sie an sich abprallen, um die Schülerinnen und Schüler zum Um- oder zumindest Nachdenken zu bewegen. Ver-Lernen ist oberstes Gebot. Denn nur durch das Hinterfragen gesetzter Glaubenssätze kann Veränderung stattfinden. Luminant Spaces werden diese Möglichkeitsräume für Perspektivwechsel genannt. Gegennarrative werden z.B. erschaffen, wenn Heranwachsenden über Diskriminierungserfahrungen ihrer eigenen Idole reflektieren. Dass Rapper Drake in seiner Schulzeit aufgrund seiner dunklen Hautfarbe und seines Jüdisch-Seins gemobbt wurde, wussten viele der Schüler und besonders Schülerinnen, die den US-Star anhimmeln, gar nicht. Perspektivwechsel heißt Empathie lernen, sich hineinfühlen, die eigene Rolle und die eigenen Erfahrungen mit Ungerechtigkeit und Ausgrenzung zu reflektieren. Wichtig sei hier jedoch, das betont Alfandari ganz deutlich, dass Menschen jüdischer Konfession nicht länger in eine ausschließliche Opferrolle gedrängt werden.

 

Im Programm geht es weiter. In Workshopgruppen finden sich die Teilnehmenden zusammen. Einer dieser Workshops wird von Silke Ballath geleitet. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HBK Braunschweig und außerdem Kunstvermittlerin und Leiterin des Projekts sideviews. Es wird über unterschiedliche Zugänge zu Kunst und Kultur gesprochen – welches Ereignis oder welcher Gegenstand hat die Teilnehmenden zur kulturellen Bildung gebracht? Wie können Zugänge zu kultureller Bildung geschaffen werden, wenn der institutionelle Rahmen der Teilhabe immer extern vorgegeben ist? Wie damit umgehen, dass nahezu alle Methoden immer nur bis zu einem bestimmten Grad inklusiv sind? Nach der Diskussion dieser Fragen und der Einigung darauf, dass sich vermutlich nicht alle Probleme lösen lassen, aber Digitalisierung eine Hilfe auf dem Weg dorthin ist, geht es weiter zu vier unterschiedlichen Transfertischen, die zur Diskussion mit Praxisakteuren einladen.

 

Am Transfetisch zum Thema Diversität berichtet die Choreographin Modjgan Hashemian unter anderem von ihrer Arbeit mit geflüchteten Jugendlichen ohne Deutschkenntnisse. Ihnen wird die Förderung beispielsweise für Tanzausbildungen häufig verwehrt. Da sei es wichtiger, „erst mal die Ausbildung als Reinigungskraft abzuschließen“, anstatt dass ein begnadeter Tänzer in seinen Talenten an einer Tanzschule gefördert werde. Der Mangel an Empathie wird aber nicht nur anhand solcher Fälle deutlich. Hashemian kritisiert, dass nicht selten Konzepte für kulturelle Projekte, die auch Menschen mit Migrationsgeschichte ansprechen sollen, von Menschen gestaltet werden, die keine Berührungspunkte mit Menschen mit Migrationsgeschichte haben. Eine Teilnehmerin erinnert an Carmen Mörsch, die diese Einbindung und Leitung von Projekten durch von ihnen betroffene Gruppen „Not about us without us“ nennt. Aber nicht nur bei der Besetzung von Auswahlkommissionen fordert Hashemian Erneuerung, sie empfiehlt auch die Implementierung von Tanz in Schulcurricula, in denen künstlerische Bildung häufig nur auf Bildende oder Darstellende Kunst beschränkt ist. Wichtig sei es dabei Freiheiten zu schaffen, anstatt Jugendliche in vorgeformte Strukturen zu zwängen. À propos vorgeformte Strukturen – Der zunehmende Innovationsdruck und Effizienzforderung an kulturelle Projekte schränke Kulturschaffende ein, mit einer gewissen Ergebnisoffenheit Pfade zu beschreiten, die nur durch freie Entfaltung von Kunst sichtbar werden können. Diese „Projektiritis“ versperre nicht selten die Sicht auf innovative und spannende Projekte, die jedoch mangels Sichtbarkeit und aufgrund der zu detailreichen Fördervorgaben keine finanzielle Zuwendung erhalten.

 

So zieht sich ein breiter Konsens durch die gesamte Veranstaltung: Zugänge zu kultureller Bildung dürfen nicht ausschließlich von denen gestaltet werden, die ohnehin schon in der kulturellen Bildung zu Hause sind. Besonders jene, denen der Zugang häufig verwehrt bleibt, müssen stärker mit einbezogen werden und aktiv mitgestalten. Zunehmend digitale Strukturen können hier eine gute Unterstützung sein, um breite Zugangsmöglichkeiten zu implementieren.

 

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Malin Nissen ist wissenschaftliche Hilfskraft im Projekt MetaKLuB und arbeitet im Bereich Öffentlichkeitsarbeit.