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In ländlichen Räumen mangelt es mitunter an digitalen Innovationen in kulturellen Bereichen, so die These des Forschungsprojektes BiDiPeri. Erste Ergebnisse des Projektes beschreiben, welche Probleme dahinter stehen und wie digitale Bildungskonzepte in ländlichen Räumen gemeinschaftlich und über Netzwerke gelingen können.

Derzeit wächst die erste Generation heran, deren Alltag bereits von klein auf mit digitalen Lebenswelten verwoben ist. Kleinkinder, die Tablets bedienen und wissen, wie sie ihre Lieblings-Serie aufrufen, oder Schüler:innen, die in den Pausen via Messenger-Diensten mit ihren Sitznachbar:innen kommunizieren, sind keine Seltenheit. Umso wichtiger wird die Frage, wie digitale Bildungsprozesse und der Umgang mit der Digitalisierung, insbesondere in der Jugendarbeit, gelingen können. Hierbei gibt es viele Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Räumen. In ländlichen Räumen herrsche im kulturellen Bereich ein digitaler Innovationsmangel, der vor allem auf fehlende Strukturen zurückzuführen sei, so die Ausgangsthese des Forschungsprojektes BiDiPeri der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Das Projekt unter Leitung von Professor Benjamin Jörissen ist Teil der Förderrichtlinie zur kulturellen Bildung in ländlichen Räumen und geht der Frage nach, wie kulturelle und pädagogische Angebote diesen digitalen Innovationsmangel ausgleichen können.

Dass ländliche Räume zumeist nicht die Epizentren digitaler Innovation sind, lässt auch der jüngst verliehene Kulturlichter-Preis vermuten: Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und die Kulturstiftung der Länder fördern mit diesem Preis Projekte und Ideen, die digitale Formate innovativ zur Vermittlung von Kunst und Kultur einsetzen. Unter den für insgesamt drei Preise nominierten Kandidat:innen waren ausschließlich Projekte aus Städten. Die Preisgelder gingen schließlich nach Bremerhaven, Bremen und Berlin.

Aus Interviews mit pädagogischen Expert:innen und aus Gruppendiskussionen mit Jugendlichen in ländlichen Räumen ziehen die Forscher:innen des Projektes BiDiPeri zwei vorläufige Problemschlüsse: Erstens, die Netzanbindung. „Die Jugendlichen gehen hier so weit, in Analogie zu „fließendem Wasser“ von „fließendem Internet“ zu sprechen, dessen Nichtvorhandensein ihren Alltag präge – in dieser Metaphorik ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Netzzugang nicht als Nebensache, sondern als Grundbedürfnis des täglichen Lebens empfunden wird“, schreibt Viktoria Flasche von BiDiPeri in einem Gastbeitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung. Für jene Jugendlichen, die in Orten ohne stabile Netzanbindung aufwachsen, bestünde das Risiko, dass sich bestehende Ungleichheiten gegenüber städtischen Räumen verstärken, wenn zum Beispiel kulturelle Angebote ins Netz verlagert werden. Laut dem Bericht zum Breitbandatlas im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur 2021 haben zwar neben 99,5 Prozent der städtischen Räume auch 94,1 Prozent der ländlichen Räume eine Breitbandverfügbarkeit von mehr als 16 Megabit (Mbit) pro Sekunde. Doch ist die Diskrepanz weitaus größer, wenn es darum geht mit größerer Geschwindigkeit Daten zu übertragen. Neben 78,4 Prozent der städtischen Räume haben nur 22.9 Prozent der ländlichen Räume eine Breitbandverfügbarkeit von mehr als 1.000 Mbit pro Sekunde.

Zweitens ergaben die Gespräche von BiDiPeri, „dass Jugendarbeit in ländlichen Räumen generell als prekär und bedroht erlebt wird“, schreibt Viktoria Flasche. Die Ausstattung von Angeboten müsse immer wieder über Projekt- und Förderanträge abgesichert werden. Insofern verstünden sich die befragten Expert:innen als Anwält:innen der Jugendlichen und versuchten die Jugendangebote so zu betreuen und zu vermarkten, dass sie die sogenannte „Bürgeröffentlichkeit“ mitdenken würden. Je kleiner eine Gemeinde ist, desto mehr würden tendenziell Angebote der Jugendarbeit mehrgenerational vernetzt, um Sichtbarkeit und Anerkennung in den Strukturen zu schaffen. Zum Beispiel nehme die Organisation regelmäßiger Feste oder Sommerlager viel Raum ein, wohingegen sich neue Angebote erst als kulturell wertvoll behaupten müssten. Auch Jugendangebote, die sich von traditionellen Bräuchen abgrenzen, blieben implizit in die jeweilige Kultur eingebunden. So werden nach ersten Ergebnissen in einzelnen Fällen innovative kulturelle Angebote von und für Jugendliche verhindert oder ausgebremst.

Dabei könnte die Digitalisierung theoretisch Chancen bieten: Jugendliche und Kinder in ländlichen Räumen könnten über das Internet theoretisch auf die gleichen Inhalte wie in städtischen Räumen zugreifen, darüber debattieren und teilhaben. Der Radius, in dem Informationen gestreut werden können, ist prinzipiell nicht mehr so eng an die Tankfüllung der Eltern oder die Deutsche Post gebunden. Doch neben digitaler Infrastruktur erfordert der Umgang mit digitalen Formaten Medienbildung. Sonst besteht das Risiko, dass die junge Generation unter einem ungefilterten Massenkonsum von Schönheitsidealen, Marketinginhalten und Falschinformationen leidet und in sozialer Isolation versinkt. „Wenn Bildung die Veränderungen beschreibt, wie Individuen ihre Umgebung (und sich selbst) sehen und Medien die Strukturen dieses Sehens wesentlich bestimmen, dann umschreibt Medienbildung die Welt- und Selbstverhältnisse von Menschen in medial geprägten kulturellen Welten,“ schreibt Viktoria Flasche in ihrem Gastbeitrag. Medienbildung beziehe hierbei mehr ein als die klassische PC- oder Internetvermittlung. Vielmehr gehe es darum spielerisch-erkundende Haltungen zu ermöglichen, die auch den Umgang mit Unbestimmtheiten aufgreifen. Als jene Unbestimmtheiten definiert sie zum Beispiel die algorithmischen Entscheidungsprozesse vieler populärer Anwendungen, die für fast alle Nutzer:innen intransparent bleiben.

Eine an Medienbildung orientierte Pädagogik sei heute mit post-digitalen Lebenswelten verknüpft.  Die Vorsilbe „post“ soll hierbei nicht bedeuten, dass die Phase der Digitalisierung bereits abgeschlossen sei. Sondern aufzeigen, dass wir jenseits der Phase seien, in der etwas explizit als digital bezeichnet werden müsse.

„Neue – eher netzwerkförmige – und weniger hierarchische Prozesse in der ländlichen Jugendarbeit können post-digitale Dynamiken stärker aufgreifen.“ schlussfolgert Viktoria Flasche. Das Projekt BiDiPeri verweist auf Ansätze des sogenannten „Design Thinking“, mit deren Hilfe Angebote mit und für Jugendliche entwickelt werden können. Gemeinschaftlich und mit Hilfe von Wiederholungen sollen Angebote schrittweise und in Korrespondenz zu Geräten, digitalen Techniken oder Programmen entwickelt werden, ohne in Abhängigkeiten zu geraten. Relevant sei hierfür das Selbstverständnis der Beteiligten: Sie sollten sich nicht als einzelne handelnde Subjekte oder Gruppen verstehen, sondern „…mehr im Sinne eines Netzwerk-Knotens, der sein Können aus der Vernetzung mit anderen Dingen und Menschen zieht“, schlussfolgert Viktoria Flasche. Dies geschehe zum Beispiel dann, wenn sich der örtliche Handarbeitsverein mit jugendlichen Cosplayer:innen vernetzt. Hierbei sei das Denken in Netzwerken nicht unbedingt und unmittelbar an digitale Infrastruktur geknüpft.

Post-digitale Bildungskonzepte sollten insofern nicht nur mediale Techniken entschlüsseln und Kompetenzen vermitteln. Vor allem sei es notwendig, sich grundlegend mit Selbst- und Werteverhältnissen in Kulturen, die schon immer medial waren, auseinanderzusetzen. So könnten auch mehr Spielräume in der Jugendarbeit in ländlichen Räumen geschaffen werden. Aufbauend auf diesen Ergebnissen tritt das Projekt BiDiPeri in eine zweite Forschungsphase ein. Sie werden die Erfolgsfaktoren von städtischen Bibliotheken, die digitale Angebote anbieten, erforschen. Ihr Ziel: Die innovativen Potentiale auch für ländliche Räume nutzbar zu machen. Im November 2022 wird es voraussichtlich weitere Erkenntnisse und Forschungsergebnisse geben.

Mehr zu diesem Forschungsprojekt finden Sie hier.

 

Lara Janssen war bis Juni 2022 wissenschaftliche Hilfskraft im Projekt MetaKLuB und arbeitete im Bereich Öffentlichkeitsarbeit.