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Kultur als Bestandteil der regionalen Entwicklung – unter diesem Motto stand die TRAFO-Tagung mit dem Titel „Kulturarbeit in ländlichen Räumen – Neue Ansätze und Ideen aus Kultur- und Förderpraxis“. TRAFO ist ein Programm der Kulturstiftung des Bundes mit dem Fokus auf Kulturarbeit in ländlichen Regionen. Während der Tagung, die am 30. Juni 2022 im Zentrum für zeitgenössische Kunst der Alten Baumwollspinnerei in Leipzig stattfand, ging es darum, wie erfolgreiche Projektarbeit im ländlichen Kulturbereich aussieht, welche Akteur:innen zusammenarbeiten und wie Projekte strukturiert sein können, sodass sie erfolgreiche Transformationsprozesse hervorbringen. Verschiedene Projekte aus dem TRAFO-Programm stellten sich vor und erklärten, wobei es bei ihrer Arbeit besonders ankam.

Beteiligung – Vernetzung – Transformation

Rote, orangene und blaugrüne Streifen durchziehen den Raum (Bild 1). Aus einem Ursprungspunkt entsprießen drei unterschiedliche farbige Ströme. Ineinander verschlungen türmen sie sich zu einem Wirbelsturm-ähnlichen Gebilde auf, das den gesamten Saal in seinen Bann zieht. Die Teilnehmenden folgen dem Wirbel entlang mehrerer Knotenpunkte. Vom Anstoß, über ein gemeinsames Thema, gemeinsame Ziele und Maßnahmen bis zum Loslegen. Es handelt sich um die Prozessgrafik (Bild 2). Jene Grafik also, die die Abläufe und Schritte von Projektarbeiten der regionalen Kulturarbeit beschreibt. Um welche Abläufe handelt es sich hier genau? Welche Schritte müssen bei der Planung und Durchführung eines Projektes gegangen werden? Und warum befindet sich der Punkt Loslegen so weit oben? Was es mit dem Wirbelsturm auf sich hat, lernten die Teilnehmenden im Laufe der Veranstaltung.

Beginnen wir mit den Grundlagen:

Warum das Land?

Warum reden wir eigentlich über das Land? Ist es nicht viel einfacher, sich auf Kulturarbeit in den Großstädten zu konzentrieren? Dort, wo die kulturelle Infrastruktur ausgebaut ist, wo Theater und Museen das Stadtbild prägen, wo Konzerte und Kunstausstellungen zum Alltag gehören.

Einfacher vielleicht, aber genau das ist die Krux an der Sache. Die (kulturelle) Infrastruktur in ländlichen Regionen ist unbestreitbar defizitär gegenüber den gut vernetzten Städten. Nichtsdestotrotz darf nicht außer Acht gelassen werden, dass ein Großteil der Bevölkerung Deutschlands außerhalb der Metropolen lebt, wie Kirsten Haß, Verwaltungsdirektorin der Kulturstiftung des Bundes, gleich zu Beginn der Tagung betonte. Diese überwiegende Mehrheit der Mitbürger:innen darf nicht links liegen gelassen werden. Wir sollten nicht erwarten, dass Menschen „vom Land“ einfach in die Stadt kommen, um Kulturangebote wahrzunehmen. Jörg Freese vom Deutschen Landkreistag hakt hier ein. Von DEM ländlichen Raum sollte schon einmal nicht die Rede sein. Wenn wir von ländlichen Räumen reden, müssen wir immer auch die damit verbundene Vielfalt achten. Denn ländlicher Raum ist nicht gleich ländlicher Raum. Dietger Wille, Beigeordneter des Landkreises Vorpommern-Greifswald, stellt fest, dass sich die Größe einer Region nicht ausschließlich an ihrer Einwohnerzahl bemisst, sondern auch durch die tatsächliche geographische Größe bestimmt wird, sodass sich ländliche Räume selbst innerhalb einer Region stark unterscheiden können. Ländliche Räume sind also nicht nur untereinander, sondern auch in sich von Vielfalt geprägt. Obschon es gemeinsame Herausforderungen geben mag, die auch als solche verallgemeinernd betrachtet werden können. Die Corona-Pandemie hat ländliche Kulturinstitutionen, wie so viele andere Bereiche, hart getroffen. Während dies in den Großstädten immer wieder ein breit diskutiertes Thema war, „starben die Institutionen in den ländlichen Regionen einen leisen Tod“, so Freese. Die Peripherie muss also viel stärker in den Fokus sowohl der Forschung, als auch der Politik, gerückt werden. Denn den Kulturschaffenden in den ländlichen Regionen kommt eine sehr wichtige Aufgabe zu. Die Daseinsvorsorge umfasst eben nicht bloß Einkaufsmöglichkeiten, Busfahrpläne oder die Verteilung von Ärzt:innen, sondern auch Kulturangebote, so unterschiedlich diese auch sein können.

Warum Kultur?

Warum sprechen wir überhaupt von Kultur? Gibt es nicht viel dringendere Probleme in der heutigen Zeit? Müssen wir nicht erst einmal über Grundvoraussetzungen wie ärztliche Versorgung, Internetzugang und schulische Bildung sprechen, bevor wir über so eine vermeintlich mondäne Angelegenheit wie Kultur diskutieren? Dr. Jens Mischak, erster Kreisbeigeordneter (CDU) im Vogelsbergkreis in Hessen sieht das anders. Er sagt: „Kultur schafft Mehrwert“. Wie die Empirie diese Aussage stützt, zeigen David Adler, Projektleiter „Kulturlandbüro“ Uecker-Randow, und Autorin Gertje Graef. Sie haben gemeinsam im Rahmen einer künstlerischen Dorfresidenz im Dorf Uecker-Randow die identitätsstiftenden Merkmale von Kunst und Kultur für Dorfbewohner:innen in den Vordergrund ihrer Arbeit gestellt. Beide betonen: Kultur entsteht vor Ort. Von außen können Anstöße, Ideen, Fragen, Reize oder auch Provokationen kommen. Richtig erfolgreich ist ein Projekt jedoch erst, wenn die äußeren Impulse vor Ort kulturelle Praktiken anstoßen und die Impulsgebenden am Ende das Gefühl bekommen, dass das Projekt auch ohne sie weiterläuft. Das deckt sich auch mit dem, was Stefanie Kruse, Team- und Projektkoordinatorin „KreisKultur“ Rendsburg-Eckernförde, und Dr. Juliane Rumpf, Kreispräsidentin Landkreis Rendsburg-Eckernförde, feststellen. Ein erfolgreiches Projekt, sagen sie, ist in die drei Phasen Mitmachen – Selbstmachen – Weitermachen gegliedert und gibt vor allem Anstöße für die Weiterführung und -entwicklung ähnlicher Projekte. Wenn es gut läuft sogar in weiteren Orten.

Kultur beeinflusst die Beteiligung, Vernetzung und soziale sowie politische Teilhabe in ländlichen Regionen, wie auch TRAFO-Programmleiter Samo Darian feststellt. Gleich zu Beginn betont er:

„Kultur ist nicht, wie oft dargestellt, bloß ein weicher, sondern ein harter Faktor für die Daseinsvorsorge und die regionale Entwicklung, denn Kultur leistet einen sehr konkreten Beitrag zu gesellschaftlichem Zusammenhalt und der Stärkung des demokratischen Gemeinwesens auch in sehr peripheren ländlichen Regionen.“

Es geht also nicht einfach darum, kulturelle Angebot zu stärken oder neue Zielgruppen zu erschließen, sondern darum, mithilfe von Kultur Bürger:innenbeteiligung zu organisieren.

Wie kann das am besten funktionieren?

Wie soll das funktionieren? Für die Implementierung und Stärkung kultureller Angebote bedarf es verschiedenster Ressourcen – zeitlicher, personeller, wie auch finanzieller. Als Geldgebende ist ein Mitspracherecht an der Umsetzung kultureller Projekte selbstredend von hoher Bedeutung. Mitsprache sollte allerdings nicht als Entscheidungshoheit missverstanden werden, wie aus dem Zwiegespräch von Folkert Uhde, Projektleiter „Neue Kulturen des Miteinanders“ in Köthen und Dietger Wille, hervorgeht. Ehrenamtliche sowie hauptamtliche Bürgermeister:innen haben ein Interesse daran, dass es den Bürger:innen in der Gegend gut geht. Um Strukturschwäche zu beheben, reicht bloße Wirtschaftsförderung nicht aus – Identifikation mit der Region und Motivation zum Verbleib in einer Region werden auch und vor allem durch Kultur geschaffen – „das ist genauso wichtig wie die Straßenreinigung“, so Dietger Wille. Und gerade weil die strukturellen Gegebenheiten in ländlichen Regionen mitunter schnelle Transformation verhindern, müssen Prozesse auf Langfristigkeit angelegt sein. Es bedarf eines „langen Atems“, wie Kirsten Haß feststellt.

Und so kommen wir wieder zurück zur Prozessgrafik: Harriet Völker, Programmreferentin TRAFO – Modell für Kultur im Wandel und Julia Diringer, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin am Deutschen Institut für Urbanistik und wissenschaftliche Begleitung des TRAFO-Programms führen die Teilnehmenden durch den Tagungsort entlang der verwobenen Prozessstränge, die auf den Boden gezeichnet sind. Wie muss ein Projekt aufgebaut werden? Welche Schritte müssen genommen werden, wer muss wo, wie, wann mit wem zusammenarbeiten? All dies ist in einer 60-seitigen Handreichung dargestellt. Zusammengefasst basiert regionale Kulturarbeit auf vier Säulen:

  1. Neues Selbstverständnis (Was kann jede:r einzelne persönlich zum Gelingen beitragen?)
  2. Mitgestaltung (Welche regionalen Herausforderungen gilt es zu bewältigen?)
  3. Vernetzung (Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Kulturellen Institutionen, Künstler:innen, Politik und Verwaltung und auch Vereinen aus?)
  4. Langfristigkeit (Welche strukturellen Anpassungen sind für nachhaltige Veränderungen notwendig?)

Jeder Meilenstein im Prozessablauf hat dabei seine ganz eigene Bedeutung. Harriet Völker beschreibt, dass der eher unscheinbare Fleck mit dem Titel Reflexion für sie eine wichtige Bedeutung hat. Sich immer wieder vor Augen führen, was richtig, was falsch gelaufen ist, ob man noch auf dem richtigen Weg ist oder Anpassungen vornehmen muss, ist essenziell für das Gelingen eines Projektes. Julia Diringer hingegen betont die Bedeutung des Punktes Loslegen, oder „Ins Tun kommen“ wie sie Folkert Uhde zitiert. Der Übergang von der konzeptionellen Phase zur praktischen Arbeit, zur Feldforschung, zum Kontakt zu den Menschen vor Ort ist der Beginn des Lernens.

Nach der konzeptionellen Phase also, in der sich Akteur:innen vernetzen, ein gemeinsames Thema festlegen, ihr Vorhaben mit Inhalten füllen und erste Maßnahmen festlegen, geht es los mit der regionalen Kulturarbeit. Was ab diesem Punkt geschieht, ist jene oben beschriebene wirbelsturmartige Veränderung und Entwicklung, aus der eine Öffentlichkeit entsteht, Netzwerke ausgebaut werden, Gremien und hauptamtliche Verwaltungen gebildet und eingeschaltet werden und letztendlich neue Kooperations-, Beteiligungs- und Partizipationsformate entstehen. Kurz gesagt – es entsteht Transformation.

Transformation – was soll das sein?

Zunächst ist es wichtig festzustellen, dass Transformation nicht gleich Transformation ist. Eine einheitliche Definition gibt es nicht – wie Transformation verstanden wird, ist abhängig vom jeweiligen Blickwinkel.

Dr. Ute Lemm, Intendantin am Schleswig-Holsteinischen Landestheater befasst sich seit langer Zeit mit dem Thema Transformation. Als größte deutsche Landebühne trägt die Schleswig-Holsteinische Landesbühne eine besondere Verantwortung für die Theaterarbeit in ländlichen Räumen. In den 50 Jahren der Zusammenarbeit mit kleinen ländlichen Theatern hat es schon immer Veränderungen und Transformationsprozesse gegeben. Lemm beschreibt Transformation als ein weites Gelände, das nach und nach bebaut werden soll. Erste Wegplatten in Form von Kommunikation und Kooperation konnten in ihrer Arbeit am Landestheater bereits gelegt werden. Dabei hebt sie vor allem die Kommunikation mit der Transformationsmanagerin von „KreisKultur“ Rendsburg Eckernförde, Sandra Wierer, hervor. Es geht allerdings nicht nur um interne Kommunikation. Auch Kommunikation nach außen ist fundamental für Transformationsprozesse. Aus der gemeinsamen Zusammenarbeit entstand bereits ein Leitbild für die Transfromationsarbeit des Landestheaters, das in einem bottom-up Prozess entwickelt wurde, denn: „Die Lotsenbote gehören genauso dazu wie der große Tanker, um sich sicher bewegen zu können.“ Beteiligung ist daher eine weitere Wegplatte, die dazu beiträgt, das weite, offene Feld abzudecken. Dabei geht es besonders um Langfristigkeit. Sandra Wierer mahnt, dass Transformation nicht per se positiv sei: „Fundamentale Veränderung von außen bricht regelmäßig über den Theaterbetrieb ein“. Institutionelle Anpassungsvorgänge laufen häufig schleppend – große Tanker unterliegen einer gewissen Starrheit, es ist nicht leicht, große Institutionen zu transformieren. Transformatorisches Handeln muss daher verlässlich bleiben und in die Breite gehen, sich in die Region durch Prozessanstöße ausweiten und dort Selbstwirksamkeit anstoßen. Dr. Jens Mischak, Erster Kreisbeigeordneter im Vogelsbergkreis und Andrea Ortstadt, Projektleiterin „TraVogelsberg“ im Vogelsbergkreis berichten von ihrer Kooperation mit Kultureinrichtungen freier Trägerschaft. Vertrauen ist ihrer Meinung nach die wichtigste Grundvoraussetzung für erfolgreiche Zusammenarbeit und damit auch Transformation.

Kommunikation, Kooperation, Beteiligung, Langfristigkeit, Verlässlichkeit und Vertrauen – das sind also Gelingensbedingungen für erfolgreiche und nachhaltige Transformation. Transformation ist dabei kein Selbstzweck. In seinem Papier zu Empfehlungen für die Kulturarbeit und die Kulturförderung in ländlichen Räumen gibt das TRAFO Programm Empfehlungen für solche Veränderungsprozesse. So wird auch hier von Nachhaltigkeit gesprochen. Um Transformation nachhaltig voranzubringen, bedarf es einer mehrjährigen Förderung. Dabei müssen alle Phasen der Entwicklung, also alle Etappen der Wirbelsturm-Prozessgrafik, finanziell unterstützt werden. Neben der Bereitstellung von Mitteln, müssen die einzelnen Prozessschritte sowie auch Veränderungsprozesse begleitet werden. Zuletzt wird hervorgehoben, dass die Wirkung eines Transformationsprozesses seinen Erfolg beschreibt und die Ergebnisse anhand dieser Herangehensweise gemessen werden sollten.

Enge Zusammenarbeit aller Beteiligten, langfristige Förderung, nachhaltige Implementierung von Veränderungen und konstante Reflexion mit Möglichkeit für Anpassungen – all das bedarf es für erfolgreiche transformatorische Prozesse in der regionalen Kulturarbeit.

 

Welche Schritte genau für erfolgreiche und nachhaltige Transformation notwendig sind, das erarbeitet das TRAFO-Programm zurzeit in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Urbanistik. Das Empfehlungspapier zu Teil 2 wird 2023 erscheinen. Den ersten Teil des Empfehlungspapiers können Sie bereits hier einsehen.

Wenn Sie mehr zur Tagung erfahren möchten, oder auch Videoaufnahmen der Veranstaltung ansehen möchten, können Sie dies hier tun.

Mehr zum TRAFO-Programm finden Sie hier

Malin Nissen ist wissenschaftliche Hilfskraft im Projekt MetaKLuB und arbeitet unter anderem im Bereich Öffentlichkeitsarbeit.