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Unter dem Titel „Kunst, Kultur und ländliche Räume in Sachsen. Der Beitrag kultureller Bildung zum gesellschaftlichen Wandel“ organisierten Professor Stephan Beetz und Ulf Jacob des Forschungsprojekts "Kulturelle Bildung und ländliche Entwicklung" (KUBILARI) eine Tagung für Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen.

Die Veranstaltung fand am 22.09.2022 im Kraftwerk Chemnitz statt.

Entgegen früherer Annahmen besitzen ländliche Räume eigene Entwicklungspfade mit Brüchen, Unterbrechungen und Verfremdungen. Das Forschungsprojekt KUBILARI, das in zwei Teilprojekte gegliedert ist, untersucht, ob und wie kulturelle Bildung die besonderen Wandlungsprozesse ländlicher Räume aufnimmt, auf die Entwicklungen reagiert und das Ländliche neu repräsentiert. Die zentrale Frage lautet, wie kulturelle Bildung mit künstlerisch-ästhetischen Methoden lokale oder regionale Themen erleb- und bearbeitbar macht sowie Selbstwirksamkeitserfahrungen stärken kann.

Die Tagung des Forschungsprojekts wurde in drei thematische Schwerpunkte gegliedert. Nach einem Grußwort von Sebastian Hecht vom Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus folgte eine Einsicht in empirische Befunde und analytische Ergebnisse aus den Teilprojekten I und II des Projekts Kulturelle Bildung und ländliche Entwicklung.

Empirische Befunde aus dem Forschungsprojekt

Das Teilprojekt I beschäftigt sich mit dem Einfluss kultureller Bildung auf gesellschaftliche Umbrüche und regionale Identitäten in ländlichen Gesellschaften. Professor Stephan Beetz und Ulf Jacob von der Hochschule Mittweida zeigten, dass es eine starke Eigenwilligkeit der untersuchten Regionen gibt und diese untereinander nur schwer zu vergleichen sind. Kulturelle Bildung kann einen Beitrag zur Bewältigung von Wandel leisten, dieser ist aber differenzierter zu betrachten, als zu Beginn der Forschung vermutet wurde. Das Team entwickelte vier Idealtypen des Transformationsmanagements. Die Typ der Aufarbeitung und Erneuerung setzt sich aktiv mit Wandel auseinander, die Kunst wird als Experimentierlabor gesehen. Als Alternative gibt es den Typ Nische, in der sich Personen in kleine Solidaritätsgemeinschaften zurückziehen. Als dritten Typus entwickelte das Team den Typus der Traditionellen. Hier reagiert man auf Wandel mit einer Rückbesinnung auf das Altbekannte, z. B. das Kunsthandwerk. Die letzte Kategorie ist die der Resilienz, bei der Kunst mit Konzepten wie beispielsweise Permakultur kombiniert wird, um ein regionales Überlebensmodell zu schaffen.

Im zweiten Teilprojekt befassten sich Professor Steffen Kolb und Maren Irmer von der HTW-Berlin mit der medialen Berichterstattung zu kultureller Bildung in Sachsen. In ihrer Forschung zeigt sich, dass in den lokalen Printmedien nur wenig Berichterstattung zu kultureller Bildung stattfindet. Über die letzten Jahre hinweg verlagerte sich die Berichterstattung stärker in Richtung Servicemeldungen. Sportnachrichten machen den größten Anteil der Artikel in lokalen Printmedien aus. Die Erkenntnis aus dem Projekt zeigt, dass Redaktionen aufgrund von Personalabbau und einer stark am Nutzer:innenverhalten orientierten Online-First-Strategie kaum noch Impulse für die Regionen geben.

Perspektiven und Erfahrungen aus der Praxis

Im zweiten Schwerpunkt der Tagung wurden Perspektiven und Erfahrungen aus der Praxis der untersuchten Regionen Erzhammer, Neusalza-Spremberg und Hoyerswerda geteilt. Auf dem Podium berichtete Kristin Baden-Walther aus dem Kulturzentrum Erzhammer von der Bedeutung von lokalen Traditionen wie Schnitzen & Klöppeln in der kulturellen Bildungsarbeit. Aufgrund des demografischen Wandels und der Altersstruktur der Bevölkerung sind auch Angebote für Senior:innen ein wichtiger Schwerpunkt des Kulturzentrums. Matthias Lehmann hat als Bürgermeister von Neusalza-Spremberg viele richtungsweisende Entscheidungen im Bereich kulturelle Bildung getroffen. Unter anderem hat er entschieden, dass kulturelle Bildung in der Region aus Haushaltsmitteln finanziert wird. Kulturelle Bildung ist in seinen Augen ein wirksames Mittel gegen Abwanderung aus ländlichen Räumen. Dirk Lienig ist Tänzer und Filmemacher. Er realisiert in Hoyerswerda intergenerationale Theaterprojekte und bringt so Menschen zusammen, die ansonsten wenig Berührungspunkte haben. Die Redner:innen waren sich einig: wissenschaftliche Begleitung führt zur Reflexion der eigenen Praxis und ist dadurch gewinnbringend für die Projekte.

Herausforderungen und Potenziale von kultureller Bildung in ländlichen Räumen

Anschließend wurde über Herausforderungen und Potenziale von kultureller Bildung in ländlichen Räumen diskutiert. Andrea Gaede vom Landesverband Soziokultur Sachsen e.V. betonte die Funktionen von Soziokultur. Einerseits sollten die Menschen dort angesprochen werden, wo sie sich mit ihren jeweiligen Anliegen bewegen. Zum anderen soll Soziokultur Begegnungen miteinander ermöglichen. Professor Ulrich Klemm von der TU Chemnitz stellte fest, dass Kulturarbeit immer an die regionalen Bedingungen angepasst werden muss. Das „Missionieren“ von außerhalb ist wenig erfolgversprechend. Dr. Beate Kegler von der Universität Hildesheim hebte die Tradition der kulturellen Bildung in Kulturhäusern in den ostdeutschen Bundesländern hervor. Kulturelle Bildung könne nicht allein von Ehrenamtlichen getragen werden. Professionelle Vermittlungspersonen sind bedeutend. Hier gibt es viel Potenzial, um an die traditionellen Strukturen der Kulturhäuser anzuknüpfen.

Die Veranstaltung beleuchtete das Thema kulturelle Bildung aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Sowohl wissenschaftliche Ergebnisse, Erfahrungen aus der praktischen Kulturarbeit als auch Perspektiven der Verbandsebenen wurden ausgetauscht. Deutlich wurde, dass es kein Patentrezept für kulturelle Bildung gibt. Kulturelle Bildung ist eng verwoben mit den regionalen Strukturen. Damit sie in ländlichen Gebieten funktioniert, braucht es Schlüsselpersonen, die neue Projekte initiieren oder Traditionen aufrechterhalten.