Pressemitteilung 2023/116 vom

Nur ein geringer Teil der deutschen Bevölkerung liest regelmäßig in der Bibel, deutlich mehr Menschen finden aber ihre Inhalte interessant. Das ergab eine Studie von Theolog:innen der Universität Leipzig, die 2022 im Rahmen ihres interdisziplinären Projekts „Multiple Bibelverwendung in der spätmodernen Gesellschaft“ insgesamt 1.209 Menschen mit und ohne kirchliche Bindung befragt haben. Ihre Untersuchung zur Verbreitung, dem Gebrauch und dem Verständnis der Bibel wurde gerade veröffentlicht. Sie ist die erste repräsentative gesamtdeutsche Studie zu dieser Thematik. Geleitet wurde sie vom Religionssoziologen Prof. Dr. Gert Pickel und Prof. Dr. Alexander Deeg vom Institut für Praktische Theologie der Universität Leipzig.

Nur etwa 30 Prozent der Deutschen nutzen die Bibel mindestens einmal jährlich. Täglich lesen in ihr 1,6 Prozent, wöchentlich 3,2 Prozent. Etwas mehr als die Hälfte besitzt ein Druckexemplar des „Buches der Bücher“. Allerdings finden selbst 40 Prozent der Menschen ohne Konfessionszugehörigkeit biblische Inhalte interessant. Im Vergleich zu 2014 sei nicht der Anteil der Bibellesenden, allerdings die Häufigkeit der Nutzung gesunken, sagt Deeg. „Wir sehen, dass die Anzahl der Nichtleser hoch ist“, sagt er. Pickel fügt hinzu: „Mich hat die relativ geringe Nutzung der Bibel unter Katholiken und Protestanten überrascht.“ Als Grund gaben die Nichtnutzer:innen meist fehlende persönliche Relevanz der Bibel für ihr Leben an. So antworteten 80 Prozent der Nichtleser:innen, sie würden keinen Grund sehen, die Bibel zu lesen. Dennoch zeige die Studie, dass „die Bibel als kulturelles Erbe für die Gesellschaft wichtig“ sei, so Pickel.

Die für Deeg überraschend hohe Zahl der Menschen mit Interesse an biblischen Inhalten biete die Chance, mit neuen, kreativen Angeboten zur Bibelnutzung jenseits der klassischen Orte wie dem Gottesdienst in der Kirche das allgemeine Interesse an der Bibel zu steigern. Als Beispiel nannte er das 929-Projekt in Israel, bei dem eine große Community jeden Tag eines der 929 Kapitel der Bibel allein liest und sich dann über eine App dazu austauscht. „Das wäre auch etwas für Deutschland. Ich bin dazu bereits mit der Kirche im Gespräch“, berichtet Deeg.

Gert Pickel regte an, die bereits bestehenden und vermehrt von Jüngeren genutzten digitalen Angebote zur Rezeption der Bibel auszubauen. Auch könne er sich beispielsweise in kirchlichen Altenheimen gemeinsame Bibelleserunden vorstellen. Digitale Formate ersetzten die gedruckte Bibel jedoch nicht. Ungefähr 11 Prozent der Bibellesenden nutzen die Bibel der Studie zufolge als E-Book, als App oder auf Webseiten im Internet häufig. Die Hörbibel wird vor allem von älteren Befragten häufig genutzt (9 Prozent). 

Bibelsozialisation im Alter von 4 bis 14 Jahren

Die Bibelsozialisation vollzieht sich nach den Worten Pickels maßgeblich im Alter von 4 bis 14 Jahren. Ein späterer Erstkontakt mit der Bibel ist eher selten. Sozialisationsorte der Bibel sind vorrangig der Religionsunterricht an Schulen, Gottesdienste und Vorbereitungsunterricht für Konfirmation und Firmung, gefolgt von den Eltern und Großeltern. Die Mehrheit der Befragten begegnet der Bibel vorrangig im Gottesdienst. Die Studie der Forschenden ergab auch, dass mehr Männer als Frauen zur Bibel greifen.

Bibellesende sind der Studie zufolge überwiegend der Meinung, dass ihnen dieses besondere Buch auch heute noch etwas zu sagen hat und die Ansprüche der Bibel durchaus auf die heutige Zeit übertragen werden können. 90 Prozent der Bibellesenden und 63 Prozent derjenigen, die nicht in ihr lesen, sind der Ansicht, dass die Bibel zentrale Normen und Werte für die Gesellschaft überliefert. 46 Prozent der Bibellesenden vertreten darüber hinaus die Meinung, dass Politik auf Grundlage der Bibel betrieben werden sollte. Die Mehrheit der Bibellesenden findet es bereichernd, wenn die Inhalte unterschiedlich ausgelegt werden. „Diese pluralen Deutungen haben mit den unterschiedlichen Lebenssituationen zu tun“, erklärt Deeg.

Während in den USA regelmäßig Studien zur Nutzung der Bibel veröffentlicht werden, ist darüber in Deutschland relativ wenig bekannt. Die letzte Studie zur „Bibelfrömmigkeit“ in Deutschland stammt aus den 1980er Jahren. Für die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Studie „Multiple Bibelverwendung in der spätmodernen Gesellschaft“ wurden Proband:innen ab 16 Jahren nach dem Zufallsprinzip ausgesucht und telefonisch oder digital zum Thema befragt. Ein Drittel von ihnen ist konfessionslos, ein weiteres Drittel evangelischen und ein Drittel katholischen Glaubens.

Zur Veröffentlichung "Dimensionen biblischer Relevanz", doi.org/10.36730/2023.1.dbr