Sprengung der Universitätskirche St. Pauli 1968
Gedenken
Am 30. Mai 1968 wurde die Universitätskirche St. Pauli gesprengt. Mit einem virtuellen Kalenderblatt erinnern wir an diesen barbarischen Willkürakt. Danke an die Theologische Fakultät, das Universitätsarchiv und die Kustodie der Universität Leipzig für die Unterstützung.
Im Jahr 1543 übereignet Herzog Moritz von Sachsen das in Folge der Reformation aufgelöste Dominikanerkloster mit der 1240 geweihten Klosterkirche St. Pauli an die Universität Leipzig. Die offizielle Schenkungsurkunde datiert auf den 22. April 1544. Diese Zuwendung, die einer „zweiten Gründung“ gleichkommt, verdankt die Universität Leipzig ihrem dreimaligen Rektor Caspar Borner.
Zwei Jahre später erfolgt die Weihe zum protestantischen Gotteshaus mit einer Predigt von Martin Luther am 12. August 1545. Für die nächsten dreihundert Jahre bilden die baulich wenig veränderten Gebäude rund um die schlichte ehemalige Klosterkirche das Zentrum akademischer Gelehrsamkeit in Leipzig.
Nach dem Abriss der Stadtbefestigungsanlagen rund um die Leipziger Innenstadt wird die Ostfassade zur neuen Schauseite der Universitätskirche hin zu den auf dem östlich gelegenen Areal neu gewonnene repräsentativen Flächen, die als Platz gestaltet und schließlich nach dem ersten König von Sachsen Friedrich August I. benannt werden. Die Kirchenfassade wird im Laufe des 19. Jahrhunderts gleich zweimal überformt und in die Fassadengestaltung des 1836 durch Universitätsbaumeister Albert Geutebrück errichteten Augusteums eingebunden. Besonders aufwändig ist die zweite Neugestaltung der Kirchenfassade im Jahr 1898 mit Anklängen an den Dom von Orvieto und reichem neogotischem Fassadenschmuck durch Arwed Roßbach.
Als einziges Gebäude der Universität übersteht die Universitätskirche die Bombardements des Zweiten Weltkriegs weitgehend unversehrt. Auch nach der Umbenennung der Universität Leipzig in Karl-Marx-Universität wird sie für Universitätsgottesdienste sowie Proben und Auftritte des Universitätschors genutzt. Im Siegerentwurf des Architekturwettbewerbs zur Umgestaltung des Universitätsgeländes in einen Bildungscampus sozialistischer Prägung kommt das Gebäude jedoch nicht mehr vor und seine Zerstörung wird – als notwendige Maßnahme zur Schaffung von Baufreiheit – nur mehr als Fußnote kommuniziert.
Am 30. Mai 1968 um 9:58 Uhr zünden die Sprengladungen. Die Universitätskirche stürzt in Staubwolken zusammen, nachdem die Fassade noch einen Moment grotesk verschoben stehenbleibt. Kurz zuvor hatten die Leipziger Stadtverordnetenversammlung und der Akademische Senat der Universität jeweils fast einstimmig dem Universitätsneubau und damit der Sprengung der Universitätskirche zugestimmt.
Sie widerstanden nicht dem Druck eines diktatorischen Regimes
ist auf einer Gedenktafel an der Nordwand des Paulinums zu lesen
Nach langem Ringen setzt sich schließlich 2007 der Gestaltungsentwurf des niederländischen Architekten Erick van Egeraat durch, der eine Symbiose aus Neubau und historischer Erinnerung vorsieht. Er nimmt Form und Größe der gesprengten Kirche ebenso auf wie ihre Fassadenelemente, zum Beispiel die große Fensterrosette. Auch der Moment der Sprengung wird baulich durch die leicht aus der Symmetrie verschobenen Proportionen festgehalten.
Die Arbeiten am Neubau des Campus Augustusplatz beginnen im Jahr 2005. Als letzter Gebäudeteil wird das Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli mit einem großen Eröffnungswochenende im Dezember 2017 seiner Bestimmung übergeben. Seither wird dort das Konzept vom multifunktionalen, geistlich und akademisch genutzten Raum erfolgreich umgesetzt – im Jahr 2019 mit 160 Gottesdiensten und Veranstaltungen.