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Im Sommersemester 2022 wurde das Ukrainisch-Lehrangebot an der Slawistik aus aktuellem Anlass kurzfristig erweitert und ein zusätzlicher Kurs für Personen ohne Vorkenntnisse eingerichtet. Was ist Motivation, was sind die Erwartungen der Teilnehmenden?

Die Universität Leipzig versteht sich als Ort, an dem Wissen kreiert und weitergegeben wird. In meiner eigenen Zeit an dieser Universität habe ich alle möglichen Veranstaltungen zusätzlich besucht, aber heute, an einem Tag im April 2022, ist es tatsächlich mein erster Sprachkurs. Es ist nur für einen Tag. Draußen ist es noch kalt, im Seminarraum 223 ist es gut geheizt, Fernwärme. Die Teilnehmer:innen des Sprachkurses holen ihre Hefte und Laptops raus. Es liegt diese Spannung in der Luft, die in neuen Seminaren entsteht. Die etwas hilflosen und überforderten Blicke aller fragen: Was ist zu erwarten? Wie sind die anderen Studis so drauf? Wie ist der Unterricht gestaltet?

Vor allem an der Philologischen Fakultät mit all den Sprachen und Literaturen, die an den vielen Instituten behandelt werden, ist eine intensive Beschäftigung mit Sprache von großer Bedeutung. Die Slawistik zeichnet eine Besonderheit aus. Neben den „klassischeren“ slawischen Sprachen wie Russisch und Polnisch gibt es, anders als an vielen anderen Universitäten, einen Sprachkurs Ukrainisch. Dieses Semester sogar in zwei Ausführungen, einen für Studierende mit Vorkenntnissen und einen für Studierende ohne solche Erfahrungen. 

Mit und ohne Vorkenntnisse

„Das ist eine gute Möglichkeit für Studenten, Ukrainisch zu lernen“, sagt Wiktorija Harbuz, die den Sprachkurs für Personen ohne Vorkenntnisse leitet, zu Beginn des Unterrichts. „Ich möchte die Studenten dabei unterstützen und mit ihnen arbeiten.“ Harbuz kommt selbst aus der Ukraine, lehrte auf einem Gymnasium in Kowel im Nordwesten Englisch und Deutsch, bis sie mit ihrer Tochter nach Leipzig floh. „Ukrainisch zu lernen ist einfacher, wenn man bereits etwas Polnisch oder Russisch kann“, meint sie, „dennoch vermittle ich alles, von Schrift bis zur Aussprache, in diesem Kurs.“

Dass die Teilnehmer:innen nach diesem Semester fließend Ukrainisch sprechen, ist eher unwahrscheinlich. Meinem ungeübten Gehör fällt selbst das Erkennen der einzelnen Worte schwer. Dazu kommt das anfangs ungewohnte kyrillische Alphabet. Aber um fehlerfreies Sprechen geht es vielen hier auch gar nicht. Vielmehr steht das allgemeine Interesse im Vordergrund und auch die zukünftigen, beruflichen Erfordernisse. „Es könnte sein, dass man in sozialen Berufen mehr damit zu tun haben wird“, erzählt ein Sozialarbeiter und Teilnehmer des Kurses in die Runde, „mit dem Einstiegskurs kann man niemanden fachlich eingehend beraten, aber es hilft, einen Kontakt und eine Verbindung zu knüpfen.“ Andere Studierende erzählen, dass sie schon mit Sprachenapps ein paar Brocken übten, doch es in Präsenz mit anderen zusammen zu versuchen, sei einfach schöner. Vor allem mit einer Lehrerin, die direkt auf Rückfragen und auf die Qualität der Aussprache eingeht, sei dies ein Riesenunterschied.

Motivationen und neue Karrierewege

In Präsenz treffe ich direkt im Anschluss auch den Sprachkurs für Menschen mit Vorkenntnissen, geleitet von Anna Gaidash. In diesem Kurs verstehe ich noch weniger, da die Kommunikation vor allem auf Russisch oder bereits auf Ukrainisch selbst geschieht. „Die meisten Student:innen haben schon Vorkenntnisse aus dem Russischen“, erzählt sie mir später, „oder auch Familienmitglieder aus der Ukraine, einige der Studierenden sind Herkunftssprecher:innen.“ Mir wird erklärt, dass dies Menschen sind, die bilingual zum Deutschen mit dem Ukrainischen oder Russischen im Vorschulalter aufwachsen, aber die Sprache nicht vollständig erworben haben. So sitzen neben mir Student:innen mit den verschiedensten Motivationen, den Kurs zu besuchen. Neben einigen, die sich sozial engagieren und durch die aktuelle Situation mehr mit Ukrainer:innen zu tun haben, gibt es auch manche, die durch die aktuellen Entwicklungen neue Karrierewege für sich suchen. „Ich habe eigentlich Translation Russisch studiert“, erklärt mir eine Studentin, „doch ich denke, dass es in Zukunft vielleicht weniger gebraucht wird, und gleichzeitig wird das Ukrainische wichtiger.“ Andere finden den Spracherwerb auch notwendig, um besser auf Ukrainer:innen einzugehen. „Ich muss sicher nicht auf ein hohes Sprachniveau kommen“, erzählt mir eine andere Studierende, die Deutsch-Sprachkurse für Flüchtlingskinder anbietet, „schon einfache Strukturen und den Satzbau zu beherrschen oder wenigstens in Ansätzen zu verstehen, ist eine große Hilfe.“ Damit sei es möglich, sich mit Kindern besser zu unterhalten und die deutsche Sprache verständlicher näherzubringen.

Sprachverwendung und -bewusstsein ändert sich

Ich selbst höre im Unterricht kaum einen Unterschied zwischen Ukrainisch, Russisch oder Polnisch, die Sprachen scheinen mir ähnlich. Nach einiger Recherche finde ich heraus, dass Ukrainische häufig nur als Ergänzung zum Russischen oder Polnischen gelehrt wird, nicht eigenständig, und Sprachkurse an deutschen Unis eher selten sind. „Das hat auch mit der Geschichte der Ukraine zu tun“, erklärt mir Kursleiterin Anna Gaidash, die selbst in der Ukraine zu UdSSR-Zeiten aufgewachsen ist. „Es war nie eine Frage, ob wir Ukrainner:innen Ukrainisch beherrschen, vielmehr ob wir es benutzen.“ Früher habe Russisch die Vormachtstellung im sprachlichen Gebrauch innegehabt, doch seit der Unabhängigkeit scheine sich das zu ändern. Sie begrüßt es, dass innerhalb der bisher traditionell zweisprachigen Gesellschaft in der Ukraine ein Bewusstsein dafür entsteht, Ukrainisch als Sprache weiter in den Vordergrund zu rücken.

Es geht um Respekt - und um Identität

„Die Ukraine hatte auch immer gute Auftritte beim European Song Contest“, erinnert sich ein Student, „wie schade wäre es, diese nicht zu verstehen.“ Er erinnert mich auch an den Sieg des Landes 2016. Jemand anderes spricht von seiner Oma und wie glücklich diese sei, dass er jetzt ein paar Sätze in ihrer Muttersprache kann. Es geht also um Kultur, es geht um Identität und auch um den Respekt vor der ukrainischen Sprache, aber auch, siehe weiter oben, Karriere – all diese Motivationen in zwei Sprachkursen.

Die Teilnehmer:innen klappen ihre Laptops zu. Die Spannung ist verflogen und an ihrer Stelle macht sich die Vorfreude auf den weiteren Verlauf breit. Vielleicht gehe ich mal wieder hin oder lerne in Zukunft auch ein wenig Ukrainisch, denke ich mir, als ich den Kursraum mit den Studierenden verlasse.