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Was erwartet die Jugend von der Zukunft? Dazu befragten Forschende im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung mehr als 12000 junge Menschen aus zwölf Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas in den Jahren 2021/22 in Einzelinterviews. Dabei gaben die Befragten im Alter von 16 bis 30 Jahren Einblicke in ihre Gedankenwelt. Zwei der drei Hauptautor:innen sind Prof. Dr. Jörg Gertel und Dr. David Kreuer vom Institut für Geographie der Universität Leipzig. Nun wurde die Studie veröffentlicht.

Den Hoffnungen auf Demokratisierung und eine bessere Zukunft nach dem „Arabischen Frühling“ in den Jahren 2010/11 folgten unter anderem autoritäre Gegenreaktionen, Wirtschaftskrisen, die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Hinzu kommen die Auswirkungen des Klimawandels, sagt Prof. Dr. Jörg Gertel von der Universität Leipzig: „Wir haben in diesen Interviews festgestellt, dass die aktuelle Realität und das, was potentiell möglich wäre, immer weiter auseinanderklafft. Bei den meisten jungen Menschen herrscht Enttäuschung und Ratlosigkeit vor, was die eigenen Zukunftschancen angeht.“

Die Autor:innen der Studie kommen unter anderem zu dem Schluss, dass das Misstrauen in die staatlichen Institutionen bei jungen Menschen im Nahen Osten und in Nordafrika hoch sei. Demokratische Regierungsformen hätten an Attraktivität verloren. „Das bedeutet aber nicht, dass sie völlig resignieren und nichts verändern wollen. Über drei Viertel der Befragten geben an, sich ehrenamtlich zu engagieren, Dinge anzupacken. Gerade während der Covid-19-Pandemie gab es eine große von Jugendlichen organisiere Solidarität“, so Gertel. „Trotz tiefer Enttäuschung über wirtschaftliche Entwicklungen verfügen die Befragten über einen großen Optimismus.“

Überrascht hat die Autor:innen, „wie klar und deutlich die jungen Erwachsenen ihre Situation, die sich in den vergangenen Jahren oft dramatisch verschlechtert hat, auch im internationalen Vergleich einschätzen können. Es ist ganz eindeutig, dass in Abwesenheit öffentlicher Programme allein die eigene Familie Ansprechpartner für Unterstützung ist. Da aber die Mittelklassen zerfallen, Armut um sich greift und einzelne Länder die Konsequenzen bewaffneter Konflikte spüren, sind viele Familien immer weniger in der Lage, ihre Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu unterstützen. Optimismus und Ratlosigkeit kombinieren sich“, sagt Prof. Dr. Jörg Gertel, der seit mehreren Jahren zur Situation der Jugendlichen in der Region forscht, unter anderem auch im Zusammenhang mit dem „Arabischen Frühling“.   

Die Interviews wurden in den Jahren 2021/22 in Nordafrika und im Nahen Osten von hunderten geschulten Personen in persönlichen Gesprächen durchgeführt: in Ägypten, Algerien, Irak, Jemen, Jordanien, Libanon, Libyen, Marokko, Palästina, Sudan und Tunesien sowie unter syrischen Flüchtlingen im Libanon.