Pressemitteilung 2002/155 vom

In Leipzig gibt es den ältesten botanischen Garten Deutschlands. Seit kurzem kann ein spezieller Apothekergarten besucht werden. Neben der Lehre von den Heilpflanzen dient er der Information und der Erholung der Bevölkerung.

Wer kennt nicht den Botanischen Garten der Universität Leipzig mit seinen neu gestalteten Gewächshäusern. Seit etwas über einem Jahr hat er einen zweiten, kleineren Standort, der als "Apothekergarten" ausschließlich den Gewürz- und medizinisch genutzten Pflanzen gewidmet ist. Zwischen dem Botanischen Institut und der Linnéstraße liegt er verkehrsgünstig, aber dennoch ruhig am Rand des ehemaligen Neuen Johannisfriedhofs, dem heutigen Friedenspark, nahe dem historischen Haupteingang "Vor dem Hospitaltore". Malerisch umrahmt von den Bäumen des Friedhofs umfasst er eine Fläche von 3.000 m². Der Garten ist ein Gemeinschaftsprojekt der Universität Leipzig, des Grünflächenamts der Stadt Leipzig und der Madaus AG, einem Pharmaunternehmen, das auf pflanzliche Heilmittel spezialisiert ist.

Botanische Gärten wurden nach italienischem Vorbild Mitte des 16. Jahrhunderts an den Universitäten angelegt. Zwar gab es bereits von den Benediktinern und Dominikanern betriebene Klostergärten und auch private "Kräutergärten", aber die Universitätsgärten erlangten eine neue Qualität. Die Vorläufer der botanischen Gärten, die "Horti medici", dienten der Ausbildung der Medizinstudenten unmittelbar an den Pflanzen, den Simplici, die man für Heilzwecke nutzte. Auch heute sind Lehre und Forschung, vorrangig für Apotheker und Studenten der Pharmazie, Medizin und Biologie, die Grundanliegen botanischer Gärten. Sie beherbergen Versuchskulturen, die der pharmazeutischen und botanischen Forschung dienen. Gleichzeitig sind sie eine lebende Sammlung wichtiger Heilpflanzen und tragen zum Erhalt seltener und gefährdeter Pflanzen bei. Da die Gärten öffentlich sind, bieten sie für interessierte Besucher viele Informationen und haben als Platz zum Verweilen und Meditieren einen hohen Erholungswert.

Der Botanische Garten der Universität Leipzig blickt auf eine 450 Jahre alte Geschichte zurück. Als 1409 die Alma mater Lipsiensis gegründet würde, etablierte sich gleichzeitig eine Apotheke in der Stadt, die noch heute existierende Löwenapotheke. In der Nähe des Dominikanerklosters St. Pauli gelegen, dürften die Gärten des Klosters bevorzugte Lieferanten für die benötigten Heilkräuter gewesen sein. Im Jahr 1542 erging ein Erlass an die Medizinische Fakultät der Leipziger Universität, einen "Hortus medicus" einrichten zu dürfen, "darinnen sie allerley Simplicia zeigen möchten". Mit der 1543 durch den Herzog Moritz von Sachsen erfolgten Überschreibung des Dominikanerklosters auf die Universität war eine wichtige Voraussetzung für die Anlage eines Gartens gegeben. 1580 wird er als eigenständige Einrichtung an der Nordseite der Paulinerkirche (heute Grimmaische Straße) beschrieben. Somit ist der Botanische Garten in Leipzig der älteste Deutschlands und neben Padua, Pisa, Florenz und Bologna auch einer der ältesten der Welt.

Berühmte Botaniker haben das Gesicht des Botanischen Gartens geprägt und mit ihren wissenschaftlichen Leistungen den Namen der Universität über ihre Heimatstadt hinaus bekannt gemacht. Zu nennen ist der 1572 in Leipzig geborene Ludwig Jungermann, der nach Leipziger Vorbild die Horti medici der Universitäten Gießen und Altdorf schuf. Als weitere wissenschaftliche Leistung ist die Anlage von Sammlungen von gepressten Pflanzen, so genannten Herbarien, anzuführen. Sie sind ein wichtiger Nachweis für das Vorkommen einer Pflanze in einem bestimmten Gebiet. Der Medizinstudent Georg Kirchen hat allein zwischen 1600 und 1606 über 1.000 Pflanzen zusammengetragen, die aus Leipzig und seiner Umgebung stammen, darunter auch einige exotische Arten, die nur dem Botanischen Garten entnommen sein konnten. Das Bemerkenswerte dieses Herbariums ist, dass damit die Kultur einiger Pflanzenarten zum ersten Mal für Deutschland beschrieben wurde, zum Beispiel der Paprika, der Wunderblume und der Kronenchrysantheme.

Die Entwicklung des Botanischen Gartens wurde von verschiedenen Direktoren geprägt. Seinen Höhepunkt erlebte er unter der Leitung von Paul Amman in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Amman publizierte ein Pflanzenverzeichnis des Gartens, in dem auch Pflanzen aus der Umgebung der Stadt aufgeführt waren. Hervorzuheben sind seine Bemühungen, dem Garten eine entsprechende Stellung in der Lehre zu verschaffen. Seine jährlich durchgeführte "Herbation", bei der Kollegen und Freunden der Botanik Pflanzen des Gartens vorgestellt wurden, war ein gesellschaftliches Ereignis, zu dem der Dekan einlud. Als weitere bedeutende Persönlichkeiten, die sich als Direktoren des Botanischen Gartens große Verdienste erworben haben, sind August Quirinus Rivinus (Leitung: 1691-1723), Christian Gottlieb Ludwig (1789-1773), Johann Hedwig (1789-1799), Gustav Kunze (1837-1851), der den Grundstock des Leipziger Herbars mit 30.000 Arten schuf, und Wilhelm Pfeffer (1887-1920). Ihnen und den anderen nicht genannten Direktoren ist es zu verdanken, dass sich der Botanische Garten zu einer angesehenen Lehr- und Forschungsstätte entwickelte.

Die Geschichte des Leipziger Botanischen Gartens ist so wechselvoll wie seine Standorte. Nach mehrmaligen Umzügen erhielt er, nachdem er 1876/77 vom Gelände des heutigen Reichsgerichts weichen musste, seinen endgültigen Standort auf dem so genannten Postfeld, einem dreieckigen Platz, der heute von der Linnéstraße, der Johannisallee und der Philipp-Rosenthal-Straße eingegrenzt wird. Der Zweite Weltkrieg machte auch nicht vor dem Botanischen Garten Halt. Im Dezember 1943 und im Februar 1945 war er Ziel von Bombenangriffen, durch die die Gewächshäuser stark beschädigt wurden mit der Folge, dass ein Großteil der darin befindlichen Pflanzen der Kälte zum Opfer fiel. Auch das umfangreiche Herbar ging unwiederbringlich verloren. Der Wiederaufbau des Botanischen Gartens bis zum Jahr 1955 gestaltete sich sehr schwierig. Zwischenzeitlich war in Oberholz bei Leipzig ebenfalls ein städtischer Garten für Arznei- und Gewürzpflanzen entstanden. Das hatte zur Folge, dass in den 1980er Jahren diese Abteilung im Botanischen Garten aufgelöst wurde. Später änderte sich jedoch die Zielsetzung des Oberholzer Gartens, und so kam es, dass die Leipziger Universität keinen "Apothekergarten" mehr besaß. Es war deshalb ein Anliegen des Direktors des Botanischen Gartens, Professor Dr. Wilfrid Morawetz, die Tradition des "Hortus medicus" mit seiner Wiederherstellung fortzusetzen. Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass die Stadt Leipzig heute über ein Schmuckstück der Gartenarchitektur verfügt.

Gleich am östlichen Haupteingang wird dem Besucher mit Hilfe von Schautafeln und Vitrinen Wissenswertes über den Garten vermittelt. Der eigentliche "Hortus medicus" schließt unmittelbar an. Diese architektonisch strenge, sehr formale Anlage orientiert sich an der historischen Vorlage des Arzneipflanzengartens aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Durch einen historischen Laubengang erreicht man dann den aktuellen Teil, den Arznei- und Giftpflanzengarten. Hier kann der Interessierte über 300 heute genutzte Pflanzenarten bestaunen. Als gestalterischer Höhepunkt zieht sich ein leicht plätschernder Wasserlauf, ausgehend von einem in Form einer Knospe gestalteten Springbrunnen, durch die Anlage.

Gezeigt werden fast alle gängigen Heil- und Gewürzpflanzen, außerdem die wichtigsten Giftpflanzen, die vielfach in der Homöopathie Anwendung finden. Alles in allem kann die Leipziger Sammlung auf etwa 300 ausgestellte unterschiedliche Sippen verweisen. Sie sind sehr übersichtlich vornehmlich nach ihrem Anwendungsbereich im menschlichen Körper geordnet, zum Beispiel die Blaubeere bei Magen-Darm-Beschwerden. Diese Einteilung ist notwendig, da die Wirkung von pflanzlichen Heilmitteln auf einem Zusammenspiel verschiedener Wirkstoffe beruht. Kann die Heilwirkung einer Pflanze auf einen charakteristischen Inhaltsstoff, z. B. die ätherischen Öle der Pomeranze, eingegrenzt werden, wird speziell darauf hingewiesen. Die Beschilderung der Pflanzen enthält Informationen über den heute üblichen lateinischen und deutschen Namen, die Familienzugehörigkeit, zur Wirkung, Nutzbarkeit und Herkunft, zu den Inhaltsstoffen und den verwendeten Pflanzenteilen sowie zur Lebensform und den biologischen Besonderheiten.