Pressemitteilung 2021/054 vom

Die Inflationsrate in Deutschland ist von -0,3 Prozent im Dezember 2020 auf 1 Prozent im Januar 2021 und 1,3 Prozent im Februar gestiegen. Zugleich setzt sich der rasante Preisanstieg bei Wohnimmobilien fort. Die Corona-Krise könnte die Inflation weiter antreiben, warnt Prof. Dr. Gunther Schnabl, Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig. Geldwertstabilität sei eng mit dem Vertrauen in den Staat verbunden. Den sozialen Zusammenhalt in Europa sieht er in Gefahr.

Herr Prof. Schnabl, Sie warnen vor einer drohenden Inflation? Warum?

Seit einigen Jahren, insbesondere seit Ausbruch der europäischen Finanz- und Schuldenkrise, hält die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen sehr tief und kauft in großem Umfang Staats- und Unternehmensanleihen. Deshalb wächst die Geldmenge sehr viel schneller als die Gütermenge. Das hat bereits dazu geführt, dass die Vermögenspreise – die Preise von Aktien, Immobilien, Gold oder auch Bitcoin – stark angestiegen sind. Die Konsumentenpreise sind bisher vergleichsweise stabil geblieben. Das könnte sich nun ändern. Die EZB hat seit dem Ausbruch der Corona-Krise unter anderem mit dem sogenannten „Pandemischen Notfallkaufprogramm“ im Umfang von 1.850 Milliarden Euro die Ankäufe von Staats- und Unternehmensanleihen nochmals deutlich forciert. Gleichzeitig ist durch Krise und Lockdown die angebotene Gütermenge gesunken, weil Produktionsbänder stillstanden und viele Geschäfte, Restaurants und Hotels geschlossen wurden. Der Überhang der Geldmenge über die Gütermenge ist deshalb nochmals stark angestiegen. Zum Jahresbeginn hat die Inflation in Deutschland bereits deutlich angezogen.

Warum beschleunigt sich die Inflation gerade jetzt?

Im Januar war entscheidend, dass die Reduktion der Mehrwertsteuer zurückgenommen und die CO2-Steuer eingeführt wurde. Im Lockdown scheint die Zahlungsbereitschaft für Lebensmittel höher, weil für andere Güter weniger ausgegeben wird, was höhere Nahrungsmittelpreise erklären kann. Zudem haben auf den Weltmärkten die Energie- und Rohstoffpreise stark angezogen. Sobald Geschäfte, Hotels und Restaurants wieder öffnen, gibt es einen Nachholbedarf insbesondere beim Konsum von Dienstleistungen. Die Verbraucher dürften eher bereit sein, höhere Preise in Kauf zu nehmen. Außerdem müssen viele Anbieter die Verluste aus dem Lockdown kompensieren. Das ist leichter, wenn der eine oder andere Konkurrent aufgrund ausgebliebener Hilfen dauerhaft schließen muss. Zudem sind die Industrieunternehmen durch die Corona-Maßnahmen mit wachsenden Kosten konfrontiert. Die internationalen Lieferketten wurden gestört, und die internationalen Transportkosten wachsen. Viele Produzenten suchen nach neuen Lieferanten, erhöhen die Lagerhaltung oder holen die Produktion von Vorprodukten ins eigene Unternehmen zurück. Das kann zu einem Anstieg der Preise führen, der von den Produzenten ausgeht. Das neue Lieferkettengesetz der Bundesregierung könnte die Preise weiter nach oben treiben.

Wie hoch könnte die Inflation ausfallen?

In den vergangenen Jahren hatten wir in Deutschland meist eine Inflationsrate zwischen null und zwei Prozent. Die Deutsche Bundesbank rechnet damit, dass die Konsumentenpreisinflation zum Jahresende auf über 3 Prozent steigen könnte, im Jahresdurchschnitt 2021 auf immerhin 1,8 Prozent. Die Deutsche Bundesbank hat betont, dass der Preisschub nur vorübergehend ist. Setzt sich die Krise fort, dann könnte der Preisauftrieb auch wieder abnehmen. Ob dem so ist, dürfte stark von der Lohnentwicklung abhängen. Wenn die Löhne deutlich steigen, wären die Unternehmen zu Preiserhöhungen gezwungen, so dass die Inflation auch mittelfristig steigen könnte. 

Müssen wir uns als Bürger und Verbraucher Sorgen machen?

Seit längerem gehen die zunehmend lockeren Geldpolitiken der Zentralbanken mit sinkenden Produktivitätsgewinnen der Unternehmen einher. Man sagt, viele Unternehmen würden „zombifiziert“, weil ihnen quasi bedingungslos günstige Kredite gewährt werden. Produktivitätsgewinne sind jedoch die Grundlage für reale Lohnerhöhungen und den Ausbau des Sozialstaates. Fällt das Produktivitätsniveau, was im Zuge der Corona-Maßnahmen nicht unwahrscheinlich ist, dann muss auch das reale Lohnniveau fallen. Das ist für jüngere Menschen, die neu in das Berufsleben einsteigen, schon länger der Fall.  

Die Spareinlagen bei den Banken werden nicht mehr verzinst, so dass diese durch Inflation schrittweise entwertet werden. Dieser Effekt könnte sich beschleunigen, worunter vor allem die Mittelschicht leiden wird. Da die Geldpolitik der EZB die Vermögenspreise nach oben treibt, werden vor allem reiche – meist ältere – Bevölkerungsschichten begünstigt. Ein Eigenheim ist für die meisten jungen Menschen in vielen Regionen Deutschlands bereits jetzt unerreichbar geworden. Sozialer Aufstieg ist nur noch schwer möglich. Ich sehe deshalb Gefahren für den sozialen Zusammenhalt in Europa.

Die Flucht in Sachwerte zeigte schon vor der Corona-Krise einen Vertrauensverlust in die Währung. Stabiles Geld ist jedoch die Grundlage für eine stabile Wirtschaft, ein hohes Lohnniveau und einen leistungsfähigen Sozialstaat. Geldwertstabilität ist eng mit dem Vertrauen in den Staat verbunden. Deshalb sollte man über eine drohende Inflation nicht hinwegsehen. Das gilt nicht nur für die offiziell gemessenen Konsumentenpreise, sondern auch für die Vermögenspreise. Um dem entgegenzuwirken scheint es mir geboten, die Geldpolitik vorsichtig zu straffen sowie die staatliche Regulierung der Wirtschaft zurückzufahren. 

Hinweis:
Prof. Dr. Gunther Schnabl ist einer von rund 200 Expertinnen und Experten der Universität Leipzig, auf deren Fachwissen Sie mithilfe unseres Expertendienstes zurückgreifen können.