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Mit einem Fesselballon untersuchen Forschende des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS) und der Universität Leipzig derzeit die bodennahen Luftschichten in der Arktis, die eine große Rolle beim Klimawandel dieser Region spielen. Die Messungen sollen helfen, die besonders starke Erwärmung der Arktis besser zu verstehen und in den Klimamodellen präziser abzubilden. Nachdem sich das Ballon-System im Sommer bereits auf der internationalen MOSAiC-Expedition bewährt hat, kommt es jetzt erstmals auch im arktischen Herbst an der Polarforschungsstation in Ny-Ålesund auf Spitzbergen zum Einsatz.

Die Ballonmessungen sind verknüpft mit  der Flugzeugkampagne HALO-(AC)³, die ein internationales Forscherteam im März/April 2022 durchführen wird, um den Warmlufttransport in die Arktis und dessen Auswirkungen im Detail zu beobachten. Dabei werden erstmals die deutschen Forschungsflugzeuge HALO, Polar 5 und Polar 6 in der Arktis zusammen mit dem Ballon fliegen, und die Atmosphäre parallel in unterschiedlichen Höhen untersuchen.

Die aktuellen Messungen auf Spitzbergen widmen sich vor allem den untersten Luftschichten bis etwa 1.000 Meter Höhe: „Die bewölkte arktische Grenzschicht ist durch eine komplexe vertikale Schichtung gekennzeichnet, die sich häufig von der Oberfläche abkoppelt. Wolken beeinflussen den Austausch der Wärme zwischen Boden und höheren Luftschichten stark und verursachen erhebliche Effekte auf die Energiebilanz“, erklärt Dr. Holger Siebert vom TROPOS, der die Ballon-Kampagne leitet. Aktuelle Modelle können diese komplexen Prozesse durch die Wolken oft nicht realistisch genug beschreiben. Daher wollen die Forschenden jetzt detaillierte Messungen dieser Grenzschichtprozesse in verschiedenen Jahreszeiten vornehmen. Zum Einsatz kommen dabei neu entwickelte Plattformen zur Erfassung von Turbulenz-, Strahlungs- sowie Wolken- und Aerosolparametern, die hoch aufgelöste Profildaten in der wolkenfreien und bewölkten Grenzschicht sammeln. Zusätzlich werden Partikel- und Wolkenwasserproben genommen, die im Anschluss an die Kampagne in den Laboren in Leipzig auf marine Kohlenhydrate, deren Transformation durch atmosphärische Vorgänge und deren Zusammenhang mit dem Eisgefrierverhalten in Wolkentröpfchen untersucht werden.

Von besonderem Interesse sind dabei die großen saisonalen Unterschiede zum Beispiel in der Partikelneubildung sowie in den Wechselwirkungen zwischen Wolken und Aerosolpartikeln. Die Ballonmessungen finden deshalb in zwei Phasen statt: Der erste Teil, der jetzt gestartet wurde, untersucht von Ende September bis Mitte November 2021 die Bedingungen im Herbst beim Übergang zur Polarnacht. Der zweite Teil wird Mitte März bis Mitte Mai 2022 den Übergang in die Schmelzperiode im arktischen Frühjahr unter die Lupe nehmen.

Dass die Messkampagne zweigeteilt ist, bietet nicht nur für die Untersuchung der Wolken und deren Energiebilanz Chancen auf neue Einblicke, auch die Atmosphärenchemie erhofft sich neue Erkenntnisse zu den Rückkopplungen zwischen biologischer Aktivität und Klima: „Uns interessieren die Wechselwirkungen zwischen Ozean und Atmosphäre – besonders in den Polarregionen, die vom Klimawandel stark betroffen sind. Während einer Messkampagne 2019 in der Antarktis sahen wir Indizien, dass Zucker aus dem Meer in die Atmosphäre transportiert werden, aber sich dann in der Atmosphäre recht schnell chemisch verändern. Das deutet auf Bakterien in der Luft hin, die dann die Zucker in der Atmosphäre auffressen. Dem wollen wir jetzt auf Spitzbergen stärker auf den Grund gehen, indem wir die Zucker in Aerosolen, Wolkenwasser und Oberflächenfilm messen und auch die Bakterien kultivieren werden“, berichtet Sebastian Zeppenfeld vom TROPOS.

Im Juli 2020 kam der 12 Meter lange und 90 Kubikmeter große Helium-Ballon bereits bei der MOSAiC-Expedition zum Einsatz, bei der der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern des Alfred-Wegener-Instituts ein Jahr lang durch die zentrale Arktis driftete. Dabei konnte das Atmosphärenteam die unterste Luftschicht über der schmelzenden Eisscholle vermessen. In einem knappen Zeitfenster gelangen 33 Ballon-Aufstiege, bei denen insgesamt 31725 Meter Seil auf- und abgerollt wurden. Die Ballonmessungen von TROPOS und Universität Leipzig waren besonders wichtig für das Verstehen der polaren Atmosphäre während der Schmelzphase. 

Der zweite Teil der Ballonmessungen auf Spitzbergen wird parallel zur Flugzeugkampagne HALO-(AC)³ im Frühjahr 2022 stattfinden, bei der erstmals die Forschungsflugzeuge HALO, Polar 5 und Polar 6 zusammen eingesetzt werden: Die zwei Polarflieger Polar 5 und 6 vom Alfred-Wegener-Institut, dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), werden in Longyearbyen auf Spitzbergen (Norwegen) stationiert sein. Das Forschungsflugzeug HALO vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) wird von Kiruna (Nord-Schweden) aus operieren. Die parallelen Ballonmessungen dienen dann vor allem dazu, eine Verbindung zwischen den am Boden stationierten Langzeitmessungen der internationalen AWIPEV-Basis und anderer internationaler Partner in Ny-Ålesund und den ab etwa 300 Metern Höhe gesammelten Flugzeugmessungen herzustellen. „Mit den Flugzeugen können wir einfach nicht beliebig tief und beliebig langsam fliegen und schon gar nicht im engen Fjord vor Ny-Ålesund. Diesen in der Arktis überaus wichtigen Höhenbereich für sämtliche Austauschprozesse zwischen Boden und der arktischen Atmosphäre müssen unsere Ballonmessungen abdecken“, fügt Dr. André Ehrlich von der Universität Leipzig hinzu, der sowohl in die Ballon- als auch Flugzeugkampagnen involviert ist. 

Die Ballonmessungen und die geplante HALO-(AC)³ Kampagne steht unter Leitung des DFG-Transregios „Arktische Klimaerwärmung“ („ArctiCAmplification: Climate Relevant Atmospheric and SurfaCe Processes, and Feedback Mechanisms (AC)³“), in dem Forschende aus Leipzig, Köln, Bremen und Bremerhaven seit 2016 untersuchen, welche Rolle zum Beispiel Wolken, Aerosol und Austauschprozesse beim Klimawandel in der Arktis spielen und weshalb sich die Region um den Nordpol mehr als doppelt so schnell erwärmt wie die übrigen Regionen der Erde. Die Kampagne wird von zwei Großprojekten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG-TR 172 und DFG-SPP 1294) sowie dem Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) finanziert.