Primatenkinder sind vielen Gefahren ausgesetzt. Daher sind sie besonders in ihrem ersten Lebensjahr auf Hilfe angewiesen, um zu überleben. Mütter übernehmen bei Primaten die Hauptlast der elterlichen Fürsorge. Väter können ihren Kindern zum Beispiel Schutz in Konflikten geben, da auch für Männchen das Überleben ihrer Kinder für die Weitergabe ihrer Gene essentiell ist. „Viele Primatenarten leben in Gruppen bestehend aus mehreren Männchen und Weibchen. Aufgrund des promisken Paarungsverhaltens stellt sich die Frage, ob Männchen ihre genetischen Kinder überhaupt erkennen können. Das Ziel dieser Verhaltensstudie war es daher, die Reaktionen von Männchen auf Hilferufe von Jungtieren zu untersuchen“, sagt Prof. Widdig.
Ihr Team beobachtete Konflikte, in die Jungtiere verwickelt waren. Um Unterstützung zu erhalten, sendeten sie Hilferufe aus. In über 3.600 Bobachtungsstunden in drei Studiengruppen registrierten die Wissenschafter:innen über 2.600 Hilferufe. Anschließend analysierten sie die Reaktionen der männlichen Schopfmakaken auf die Hilferufe der Kinder.
Die Forschenden stellten fest, das Männchen häufiger auf die Hilferufe von Kindern reagierten, wenn sie dessen Vater, dessen Freund und/oder der Freund der Mutter waren. Darüber hinaus kamen Männchen dem schreienden Nachwuchs eher zu Hilfe, wenn sie selbst einen hohen Dominanzrang innehatten, also sehr wahrscheinlich viele dieser Kinder selbst gezeugt hatten oder das schreiende Kind und dessen Mutter einen niedrigen Dominanzrang hatten und deshalb besonders auf Hilfe angewiesen waren. Hingegen war die Anwesenheit der Mutter am Konfliktort nicht entscheidend dafür, ob Männchen auf Hilfeschreie der Kinder reagierten.
Die Wissenschaftler:innen kamen zu dem Schluss, dass Schopfmakaken-Männchen möglicherweise über einige Anhaltspunkte verfügen, um beurteilen zu können, welches Jungtier sie gezeugt haben. Dennoch scheinen die Männchen generell selten zu intervenieren und auch nichtverwandten Jungtieren zu helfen. Die erhobenen Daten zeigten beispielsweise, dass um Hilfe schreiende Kinder hauptsächlich mit erwachsenen Männchen (42 Prozent) oder Weibchen (46 Prozent) aus ihrer Sozialgruppe in Konflikte verwickelt waren. Möglicherweise schätzen Männchen also das Risiko ihres Eingreifens ab, um potenzielle Konflikte mit männlichen Rivalen zu vermeiden.
„Obwohl frühere Studien zu dieser Primatenart ergaben, dass Väter nicht gezielt Sozialbeziehungen zu ihren Kindern aufbauen, so zeigt unsere jüngste Studie, dass Väter in die Unterstützung ihrer Nachkommen investieren, wenn auch sehr begrenzt“, betont Prof. Widdig. Dies würde die Ergebnisse anderer Studien bestätigen, denen zufolge Männchen mit ihrem Nachwuchs soziale Bindungen aufbauen oder ihre Kinder an den Fütterungsplätzen dulden, ihren Nachwuchs aber nur selten aktiv in Konfliktsituationen unterstützen. Die Forschenden gehen ihren Beobachtungen entsprechend davon aus, dass jede Form der väterlichen Fürsorge subtil und auf bestimmte Situationen beschränkt ist, sich aber möglicherweise angesichts der hohen Kindersterblichkeit bei Schopfmakaken im Laufe der Evolution herausgebildet hat.
Erklärungen für die väterliche Zurückhaltung gibt es mehrere: Die einfachste könnte sein, dass Schopfmakaken-Kinder nicht von räumlichen Assoziationen und Bindungen mit ihrem Vater profitieren, so dass weder Väter noch Kinder tagtäglich in solche Beziehungen investieren. Eine andere Erklärung könnte Zeitmangel sein. Obwohl es potenziell vorteilhaft wäre, haben Väter möglicherweise keine Zeit, sich häufig mit ihren Kindern zu beschäftigen. Die Zeit der Männchen für die Interaktion mit dem Nachwuchs scheint stark einschränkt zu sein, was die Forschenden damit in Zusammenhang bringen, dass Schopfmakaken im Durchschnitt nur 12 Monate ihren Alphastatus verteidigen können. Die Männchen investieren daher wahrscheinlich diese gesamte Zeit in die Paarung mit möglichst vielen fruchtbaren Weibchen, bevor sie in eine andere Gruppe abwandern. „Ob es sich bei der Unterstützung von Jungtieren durch nicht verwandte Männchen tatsächlich um eine aktive männliche Strategie oder um eine Fehleinschätzung der Vaterschaft durch das Männchen handelt, ist noch unklar“, sagt die Verhaltensökologin.
Das Macaca Nigra Projekt (MNP) wurde 2006 als internationales Kooperationsprojekt gegründet. Heute wird das MNP von Wissenschaftler:innenn aus Indonesien (IPB University, Bogor), Frankreich (Nationales Zentrum für Wissenschaftliche Forschung und Nationales Museum für Naturgeschichte, Paris), dem Vereinigten Königreich (University of Portsmouth) und Deutschland (Universität Leipzig und Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig) geleitet.
Das MNP betreibt eine Feldstation auf Sulawesi (Indonesien), einer Insel, die als Hotspot der Biodiversität bekannt ist. Die Feldarbeit wird im Tangkoko-Naturreservat durchgeführt, das an der nördlichsten Spitze von Sulawesi liegt und mehr als 8.700 Hektar umfasst. Hier wird eine der größten verbliebenen Populationen der vom Aussterben bedrohten Schopfmakaken in ihrer natürlichen Umgebung untersucht. Der Schwerpunkt des MNPs liegt auf Forschung, Umweltbildung und Naturschutz. Neben Untersuchungen zum Verhalten, der Physiologie und Ökologie dieser Art engagiert sich das Projekt zusammen mit lokalen Behörden und Nichtregierungsorganisationen für die Erhaltung dieser Primatenart. Langzeitdaten zu etwa 500 Tieren in ihrer natürlichen Umgebung, von ihrer Geburt bis zum Tod, bieten bedeutsame Einblicke in die soziale Evolution und Verhaltensökologie von Primaten, aber auch in die genetische Vielfalt und Inzuchtdepression, die Ökologie und den Klimawandel, was den interdisziplinären Forschungsansatz des Projekts verdeutlicht.
Auch durch ihre Umweltbildungsprogramme hat das MNP auf sich aufmerksam gemacht. Es organisiert seit 2011 Aktivitäten, im Rahmen derer sie Schüler:innen, Lehrer:innen und Erwachsenen aus den Dörfern rund um das Tangkoko-Naturreservat Material und Informationen über den Regenwald, das Klima, den Wasserkreislauf, die Fauna, die Flora und die Schopfmakaken vermittelt, um ihr Wissen in Hinblick auf den Schutz der einheimischen Natur und der biologischen Vielfalt zu erweitern. Seit der Projektgründung haben die Forschenden über 5.000 Menschen erreicht. Das Programm ist Teil des offiziellen Lehrplans in zwei Dörfern nahe des Tangkoko-Naturreservats. Eine erste quantitative Analyse über den Erfolg des Umweltbildungsprogramme wurde ebenfalls unter der Leitung des Leipziger Teams in der Spezialausgabe veröffentlicht.