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Was passiert beim Essen im Gehirn? Und warum ernähren wir uns wider besseren Wissens manchmal ungesund? Arno Villringer, Professor für Neurologie an unserer Universität und Direktor des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften, will genau diese Fragen beantworten. Zusammen mit seinem Team beobachtet er mittels Kernspintomografie und Elektroenzephalogramm (EEG), welche neuronalen Prozesse im Gehirn ablaufen, wenn wir essen oder auch nur an die nächste Mahlzeit denken. Dieses Verständnis hilft, passgenaue Therapien für Menschen mit Übergewicht zu entwickeln.

Welche Rolle spielt das Essen bzw. die Nahrungsaufnahme in unserem Gehirn?
Prof. Dr. Arno Villringer:
Die Nahrungsaufnahme wird durch das Gehirn letztlich gesteuert. Zugleich beeinflusst die Nahrungsaufnahme die Gesundheit des Gehirns. Da gibt es zwei wesentliche Systeme: Das eine System signalisiert uns das Gefühl des Hungers und sorgt letztlich dafür, dass wir über die Nahrung Energie aufnehmen. Das andere System verbindet Essen mit Genuss. Wir erhalten mit der Nahrungsaufnahme die erhoffte innere Belohnung. Das spielt gerade bei Adipositas eine wesentliche Rolle – Faktoren wie Genuss bergen ein großes Suchtpotential.

Welche Folgen kann Adipositas für unser Gehirn haben?
Prof. Dr. Arno Villringer:
Wir wissen heute, dass Menschen mit starkem Übergewicht ein höheres Risiko haben, an Alzheimer zu erkranken oder einen Schlaganfall zu erleiden. Wir können schon bei jungen Menschen negative Folgen von starkem Übergewicht im Gehirn feststellen. Die neuronalen Strukturen weisen  bei ihnen schon Veränderungen auf, allgemein ist die geistige Leistungsfähigkeit vermindert. Das Gehirn von Alzheimer-Patienten ist deutlich verkleinert. Und letztlich finden wir bei Menschen mit Übergewicht ganz ähnliche Veränderungen wie im Frühstadium von Alzheimer. Warum das so ist, weiß man noch nicht genau. Wir kennen eine Reihe von Faktoren, die für die Entstehung relevant sind. Zum Beispiel weiß man, dass chronische Entzündungsprozesse bei Alzheimer eine wichtige Rolle spielen, weil es dann leichter zu schädlichen Ablagerungen kommt. Wir wissen, dass auch Adipositas zu chronischen Entzündungen führt. Eine andere mögliche Erklärung ist, dass der Bluthochdruck in Folge des Übergewichts dazu führt, dass die „Müllabfuhr des Gehirns“ nicht mehr richtig funktioniert, also der Abtransport von Rückständen aus unseren Zellen über das Lymphatische System.

Welche Rolle spielt der Belohnungsaspekt beim Essen für unser Gehirn?
Prof. Dr. Arno Villringer:
In der Forschung verfolgen wir unter anderem den Ansatz, dass bei Menschen mit Adipositas das Belohnungssystem aus der Balance geraten ist. Das heißt, sie haben einerseits eine hohe Belohnungserwartung, wenn sie an Essen denken oder wenn sie vor dem Essen stehen. Andererseits ist dann die innere Belohnung, die man bei der Nahrungsaufnahme über das sogenannte Glückshormon Dopamin bekommt, bei ihnen geringer als die Erwartung. Sie bekommen also weniger Belohnung als sie erwarten. Üblicherweise würde man denken, dass dann einfach die Erwartung angepasst wird. Genau das passiert aber wohl nicht, die Diskrepanz bleibt bestehen. Deswegen essen Menschen mit Adipositas noch mehr, um diese Erwartungen zu erfüllen. Das ist analog zu dem, was wir von Suchtkranken kennen.

Generell wissen wir ja, wie man sich gesund und ausgewogen ernährt. Warum fällt es dennoch schwer, das auch so umzusetzen?
Prof. Dr. Arno Villringer: Das ist genau die Crux. Es besteht eine Diskrepanz zwischen dem, was wir wissen und was wir an langfristigen Zielen erreichen wollen einerseits und unserem tatsächlichen Verhalten andererseits. Es gibt Strukturen im frontalen Kortex, also im vorderen Bereich des Gehirns, die uns langfristige Ziele verfolgen lassen. Zugleich kontrollieren sie aber auch tiefer gelegene Strukturen, die unsere Emotionen, Impulsivität und den Wunsch nach Belohnung steuern. Im Idealfall sind beide Systeme ausbalanciert, bei Adipösen aber nicht. Zudem kontrollieren wir unser Verhalten nicht immer bewusst. Wir befinden uns häufig in Situationen, in denen unsere bewusste Kontrolle massiv eingeschränkt ist und in denen wir unbewussten, automatisch ablaufenden Prozessen folgen. Ein gutes Beispiel ist das Chips-Essen beim Fernsehen oder das unbewusste Essen in Stresssituationen. Dabei neigen wir besonders zu fettreichen Nahrungsmitteln, die uns eine direktere Belohnung vermitteln.