Pressemitteilung 2019/248 vom

Was passiert in unserem Gehirn, wenn wir lernen? Diese Frage beschäftigt Prof. Dr. Stefan Hallermann von der Universität Leipzig. Er untersucht die komplexen Mechanismen im Gehirn, die der Kommunikation und dem schnellen Informationsaustausch zwischen unseren Zellen zu Grunde liegen. Die Nervenenden der Zellen interessieren den Neurophysiologen dabei besonders. Diese verändern sich beim Lernen, und warum das so ist, möchte Hallermann nun tiefer ergründen. Er sieht darin eine entscheidende Wissenslücke für unser Verständnis von Lernen und Gedächtnis. Der Europäische Forschungsrat bestätigt die wissenschaftliche Relevanz seiner Forschung und unterstützt sie mit einem ERC Consolidator Grant. Dieser Forschungspreis gehört mit einer Höhe von knapp zwei Millionen Euro zu den renommiertesten europäischen Wissenschaftsförderungen.

„Wie die molekularen Mechanismen von Lernen und Gedächtnis wirklich funktionieren, haben wir in der Wissenschaft bisher noch nicht genügend verstanden. Wir wissen, dass die Nervenzellen über Kontaktstellen, den sogenannten Synapsen, miteinander kommunizieren. Synapsen sind wie Einbahnstraßen, bei denen die sendende Zelle einen Botenstoff freisetzt und die empfangende Zelle den Botenstoff erkennt. Wenn wir etwas lernen, also Informationen aufnehmen, die wir zu einem späteren Zeitpunkt wieder abrufen können, dann ändert sich die Menge des freigesetzten Botenstoffs“, erklärt Hallermann. In der Wissenschaft spricht man von der präsynaptischen Plastizität, und diese ist bislang unzureichend erforscht. Das Rätsel der präsynaptischen Plastizität, der zeitweisen Verformung der Nervenenden, möchte der Wissenschaftler nun mit zwei unterschiedlichen Methoden lösen. Er wird zum einen die Funktion und zum anderen die Struktur der Nervenenden untersuchen. Das Carl-Ludwig-Institut für Physiologie der Medizinischen Fakultät bietet dafür ideale Voraussetzungen, wenn Nervenenden erstmals mit bestimmten hochauflösenden Techniken erforscht werden.

Mit elektrophysiologischen Messungen soll die Funktion der Nervenenden analysiert werden. Das Forschungsteam um Hallermann entwickelte dafür eine neue Verfahrenstechnik, die mittels feinster Glaskapillaren die Ausschüttung der Botenstoffe direkt an den Nervenenden untersuchen kann. „Wir positionieren winzige Glaskapillaren direkt auf den Nervenenden, die kleiner als ein Tausendstel Millimeter groß sind. Dadurch können wir direkt an der Sendestation der Zelle messen wie viel Botenstoff freigesetzt wird“, erläutert er die naturwissenschaftliche Methode, die am Tiermodell angewendet werden soll.

Die zweite Methode ist ein hochauflösendes mikroskopisches Verfahren, welches die Verformung der Nervenenden zeitlich abbildet. Das dafür notwendige Mikroskop kann jetzt mithilfe der EU-Förderung angeschafft werden. Ein Forschungsteam von zehn wissenschaftlichen Mitarbeitern begleitet Hallermann beim Versuch, die verborgenen Geheimnisse von Lernen und Gedächtnis aufzudecken. „Wenn wir die Prozesse der molekularen und biophysikalischen Lern-Mechanismen in ihrer Komplexität verstehen lernen, können wir auch ihre Funktionsstörungen besser nachvollziehen. Die Ergebnisse könnten den Weg für neue Ansätze zur Behandlung neurologischer Erkrankungen wie Demenz und Alzheimer ebnen“, erklärt Professor Hallermann das langfristige Ziel seiner Forschung. Dabei unterstützt ihn der Europäische Forschungsrat mit dem ERC Consolidator Grant, damit er seine Forschungen weiter ausbauen kann. „Ich freue mich sehr über diese Auszeichnung“, so der 44-jährige Neurophysiologe. „Ohne die gute Teamarbeit innerhalb meiner Arbeitsgruppe und insgesamt am Standort Leipzig wäre das nicht möglich gewesen.“

Prof. Dr. Stefan Hallermann studierte Physik und Humanmedizin in München und Freiburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn führte den gebürtigen Würzburger über Canberra/Australien, Würzburg, Leipzig und Göttingen wieder zurück nach Leipzig, wo er seit 2013 am Carl-Ludwig-Institut die Professur für Neurophysiologie innehat. Das Heisenberg-Förderprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ebnete ihm den Weg zur Heisenberg-Professur an der Medizinischen Fakultät, die 2018 in die Übernahme des Lehrstuhls für Physiologie mündete. Mit der Förderung des ERC Consolidator Grant von 2020 bis 2025 wird der Forschungsprofilbereich „Erkrankungen von Gehirn und Seele“ der Medizinischen Fakultät gestärkt.