Pressemitteilung 2023/077 vom

Die Rückgabe kolonialer Kulturgüter ist immer wieder ein Thema in Politik und Gesellschaft. Auch beim Afrikanist:innen-Tag 2023, der vom 4. bis 6. Mai 2023 an der Universität Leipzig stattfindet, gibt es einen passenden Programmpunkt mit dem Titel „Rechtliche Aspekte des Schutzes afrikanischen Kulturgutes“. Welches Recht gilt, welche politischen Überlegungen mitunter eine Rolle spielen und was Wissenschaftler:innen zur Debatte beitragen können, darüber spricht Dr. Hatem Elliesie vom Orientalischen Institut der Universität Leipzig im Kurzinterview.

Dr. Hatem Elliesie vertritt aktuell die Professur für Islamisches Recht an der Universität Leipzig, ist Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle/Saale und Nachwuchsgruppenleiter an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. 

Herr Elliesie, die Rückgabe von Kulturgütern ist ein großes Thema, das Sie auch beim Afrikanist:innen-Tag aufgreifen. Zuletzt gab es sogar ein Plädoyer für eine Rückgabe der Büste der Nofretete und des Pergamonaltars. Sind das rein politische Debatten oder was kann die Wissenschaft beitragen?
 
Das Thema fand hierzulande Ende vergangenen Jahres wieder intensiver Eingang in die öffentliche Debatte um die Rückführung von Kulturgütern aus kolonialen Kontexten, die in Frankreich im Jahr 2017 durch Präsident Macron angestoßen und in Deutschland seit 2019 mit Bezug auf die Benin-Bronzen geführt wird. Anlass dazu gab die Berliner Staatssekretärin Gomis. Sie hatte sich für die Rückgabe des bekanntesten Kunstschatzes des Alten Ägypten ausgesprochen. Dieser wurde 1912 bei einer Ausgrabung der Deutschen Orient-Gesellschaft entdeckt und 1913 nach Deutschland verbracht, also in einer Zeit, in der die Protektoratsmacht England in Ägypten herrschte und den Franzosen die Antikenverwaltung oblag. Seit 1924 fordert Ägypten die Büste regelmäßig zurück. Eine Entscheidung wird – wie auch die Rückführung des aksumitischen Obelisks von Italien an Äthiopien 2005 zeigte – einer gesellschaftlichen Debatte bedürfen. Der Wissenschaft wird dabei sicherlich wieder, wie es jüngst in Frankeich und in Italien zu sehen war, die verantwortungsvolle Rolle der Versachlichung der politischen Diskussion beigemessen.
 
Sie sprachen die Debatte in Frankreich an, wo der französische Staatspräsident Emmanuel Macron ankündigte, das Raubgut, das sich in französischem Besitz befindet, zurückzugeben. Wann spricht man von Raubgut, wann nicht?
 
Der Begriff Raubgut wird im deutschen Sprachraum bei den Debatten in erster Linie auf Kulturgut bezogen, das zwischen 1933 und 1945 verfolgten Personen in der nationalsozialistischen Gewalt­herrschaft entzogen worden ist. Der Begriff und seine oft in Entsprechung verwendete Begrifflichkeit wie die „Raubkunst“ sind national und international nicht verbindlich definiert. Unter Raubkunst versteht man gemeinhin angeeignete Kunst- beziehungsweise Kulturobjekte, die gewaltvoll oder durch Übervorteilung erlangt wurden. Diese Objekte müssen nicht unbedingt geraubt worden sein.

Im Zusammenhang mit dem Afrikanist:innen-Tag vom 4. bis 6. Mai 2023 an der Universität Leipzig werden darunter auch Objekte erfasst, die unter Wert gekauft oder in kolonialer Abhängigkeit als „Geschenk“ erhalten wurden. Wir werden uns interdisziplinär mit dem Kulturgüterschutz beschäftigen. Die Bezeichnung Kulturgut umfasst sowohl bewegliche als auch unbewegliche sowie immaterielle Güter. Kulturgüter sind in der Regel von archäologischer, geschichtlicher, literarischer, künstlerischer oder wissenschaftlicher Bedeutung. Materielle Kulturgüter können Bestände von Bibliotheken, Archiven und Museen, aber auch Baudenkmäler sein. Vor diesem Hintergrund werden wir in den bevorstehenden Tagen vielfältige Wissensressourcen zusammenführen, um rechtliche Aspekte des Schutzes afrikanischen Kulturgutes wissenschaftlich fundiert aufzuarbeiten.
 
Sie thematisieren rechtliche Aspekte des Schutzes afrikanischen Kulturgutes und mögliche Ansprüche auf deren Rückführung in die Herkunftsländer. Welches beziehungsweise wessen Recht gilt denn?
 
Aufgrund der oft übernationalen Kontexte sind völkerrechtliche Vereinbarungen maßgeblich. So etwa das UNESCO-Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut von 1970, die UNIDROIT-Konvention über gestohlene oder rechtswidrig ausgeführte Kulturgüter von 1995 oder die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker von 2007 (UNDRIP), um nur einige zu nennen. Das UNESCO-Übereinkommen erstreckt sich dem Wortlaut nach explizit nicht auf den Zeitraum vor dessen Inkrafttreten, wodurch kolonial erlangte Kulturgüter ausscheiden. Ähnlich verhält es sich beim nationalen Kulturgutschutzgesetz, dass eine 30-jährige Verjährungsfrist statuiert. Der UNIDROIT-Konvention nach können sogar Privat­personen Ansprüche erheben, was aber dazu geführt hat, dass nur wenige Länder die Vereinbarung ratifiziert haben.

Eine Rechtsverbindlichkeit lässt sich also ebenso wie bei der UNDRIP nicht ableiten. Daher wird in den Debatten auch stets von einem „moralischen Recht“ auf Rückführung gesprochen. Die Aussage Macrons ist demgemäß nicht rechtlich, sondern im Interesse der französischen Afrikapolitik zu sehen, die mit dem wachsenden Einfluss Chinas zu kämpfen hat und die frankophone Welt weiter an sich binden möchte.

 

Zur Veranstaltung:

Vom 4. bis 6. Mai richten das Institut für Afrikastudien und das Orientalische Institut der Universität Leipzig den Afrikanist:innen-Tag 2023 aus. Die Fachkonferenz der Afrikanistik, bei der es traditionell vor allem um Sprachen und Kulturen geht, findet alle zwei Jahre statt. Einer der prominentesten Afrikanisten, Professor Sinfree Makoni von der Pennsylvania State University (USA), wird einen Impulsvortrag halten. Das Programm ist online verfügbar.