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Die zahlreichen globalen Krisen sind eine Gefahr für die Demokratie. Umso mehr braucht es eine Schule, die junge Menschen dabei unterstützt, ihren Platz in der Gesellschaft selbstbestimmt und kompetent einzufordern. Doch wie werden Jugendliche auf ihre Rolle als demokratische Bürger:innen vorbereitet? Welches politische Wissen und welche Einstellungen haben sie? Das hat die Vergleichsstudie ICCS 2022* für 24 überwiegend europäische Bildungssysteme untersucht. Den deutschen Teil der Studie – durchgeführt in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein – haben Prof. Dr. Hermann Josef Abs (Universität Duisburg-Essen; Sprecher) und Juniorprofessorin Dr. Katrin Hahn-Laudenberg (Universität Leipzig) verantwortet. Am 28. November wurden erste Ergebnisse der Studie veröffentlicht. „Sie sollten uns hellhörig machen“, sagt Abs.

Befragt wurden Achtklässler:innen verschiedener Schulformen, ihre Lehrkräfte und Schulleitungen. Laut der Studie ist das politische Wissen bei Schüler:innen hierzulande leicht überdurchschnittlich, verglichen mit ihren europäischen Altersgenossen. „Doch mehr als in anderen Ländern verstärkt das deutsche Schulsystem ungleiche Startchancen von Jugendlichen auf politisches Wissen und politische Beteiligung“, betont die Bildungsforscherin Hahn-Laudenberg von der Universität Leipzig. Dazu passt, dass die knapp 5.000 Schüler:innen aus Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein insgesamt weniger bereit sind, sich politisch einzubringen als die Jugendlichen in anderen Ländern.

Die Studienergebnisse zeigen außerdem, welchen Einfluss Krisen auf die Heranwachsenden haben: Verglichen mit der ICCS von 2016 ist das Vertrauen in wichtige Pfeiler der Demokratie um fünf bis zehn Prozentpunkte gesunken – diese Entwicklung ist länderübergreifend. „Zwar vertrauen noch etwa drei Viertel der Schüler:innen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein der Regierung, den Gerichten oder auch der Polizei, doch der Rückgang des Vertrauens ist besorgniserregend“, warnt Abs, Bildungsforscher der Universität Duisburg-Essen. „Denn ein grundlegendes politisches Vertrauen ist als Ressource notwendig, um als demokratische Gesellschaft in Krisen Veränderungen gestalten zu können.“

Die Krisenwahrnehmung unter Jugendlichen hat sich seit 2016 weltweit verstärkt: Klimawandel, Wassermangel und Umweltverschmutzung machen ihnen Sorgen. Noch beängstigender finden sie Kriege und bewaffnete Konflikte. So sehen acht von zehn Jugendlichen in Deutschland hier eine große Gefahr für die Zukunft der Erde – und die Regierungen in der Verantwortung. Obwohl sie sich selbst auch in der Pflicht sehen, berichten nur fünf von zehn Befragten, in ihrem Kaufverhalten regelmäßig Umweltaspekte zu berücksichtigen. Damit unterscheiden sie sich nicht wesentlich von anderen europäischen Schüler:innen.

„Politische Bildung und Schulen können viel dazu beitragen, dass Bürger:innen couragiert für die Demokratie eintreten“, betont Abs. „Allerdings braucht es dafür auch Lehrkräfte, die dafür ausgebildet wurden, politische Gestaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen, mit Schüler:innen über politische Emotionen zu sprechen und Kontroversen im Unterricht so aufzugreifen, dass sich Mehrperspektivität und Argumentationsfähigkeit entwickeln“, ergänz Hahn-Laudenberg.

Die International Civic and Citizenship Education Study (ICCS) 2022 wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie von der Europäischen Union gefördert. Die ICCS erfragt das demokratische Mindset von Jugendlichen, darunter politisches Wissen, Toleranz, institutionelles Vertrauen, politische Identitäten sowie Partizipationsbereitschaft. Die Leitung der Studie liegt in Deutschland bei Prof. Dr. Hermann Josef Abs (Universität Duisburg-Essen) und Juniorprof. Dr. Katrin Hahn-Laudenberg (Universität Leipzig). Beide hatten bereits an der ICCS 2016 mitgewirkt. Der zweite Ergebnisteil, der sich mit den schulischen Prozessen politischer Bildung und Einstellungen der Jugendlichen zur EU befasst, wird am 22. Februar 2024 veröffentlicht.