Der volle Titel des DFG-Schwerpunktprogramms heißt "Robust Argumentation Machines" (Adaptive, Skalierbare und Fehlertolerante Argumentationsmaschinen). Die Koordinatoren des Programms arbeiten derzeit unter der Federführung von Professor Dr. Philipp Cimiano vom Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) der Universität Bielefeld an einer Ausschreibung, in der sich Wissenschaftler aus ganz Deutschland mit ihren Projektideen bewerben können. Aus diesen Projektideen werden dann bis zu 15 Anträge bewilligt.
"Wir wollen den Grundstein für eine neue Technologie legen, die automatisiert digitale Texte auswertet, die argumentativen Strukturen erkennt und zusammenfasst und die verschiedenen Pro- und Contra-Argumente zu einer Diskussion auf einen Blick zusammenfasst", sagt Philipp Cimiano. Er ist Leiter der Forschungsgruppe "Semantische Datenbanken", die am Exzellenzcluster CITEC arbeitet. Sein Team ist spezialisiert auf der Erforschung und Entwicklung von Verfahren, die "Bedeutung" aus unstrukturierten Daten, insbesondere aus digitalen Texten, extrahieren und zusammenfassen können.
Prof. Dr. Gerhard Heyer von der Abteilung Automatische Sprachverarbeitung des Instituts für Informatik der Universität Leipzig, der einer der Antragsteller des Projektes ist, ergänzt: "Durch die automatische semantische Analyse von Texten soll die Brücke zwischen Information Retrieval und Logik gebaut werden, die es zukünftig ermöglicht, in Suchmaschinen nicht nur nach Stichworten, sondern auch nach Argumentationsmustern zu suchen."
Politikforscher könnten mit der neuen Generation von Systemen beispielsweise analysieren, wie Menschen im Internet über ein Thema denken und reden. In der Diskussion um Flüchtlinge sei von vielen Menschen die sogenannte "Schließung der Balkanroute" als das Mittel der Wahl benannt worden. Die neuen Argumentationsmaschinen würden nicht nur aufspüren, wie viel Zuspruch diese "Lösung" erhalten hat, sondern auch, welche Gegenargumente aufgeführt werden. "Grundsätzlich könnten sie auch darstellen, welche Argumente überholt sind und welche neu in die Diskussion eingeführt wurden", sagt Philipp Cimiano.
Die Analyse von Online-Diskussionen ist nur ein mögliches Einsatzgebiet der Argumentationsmaschinen. Die neuen Systeme sollen Experten verschiedener Branchen bei der Entscheidungsfindung unterstützen, zum Beispiel in der Finanzbranche, der Medizin, der Technischen Dokumentation, Politik und Soziologie. So könnte beispielsweise ein System entwickelt werden, das von Ärzten zu Rate gezogen werden kann. Das System scannt Millionen von Fachartikeln zu Krankheitsbildern und Therapien. Der Arzt kann den digitalen Beratungshelfer befragen - dank eines Dialogassistenten - und erfährt auf diese Weise beispielsweise von einer neuen Therapie, die er selbst nicht aufgespürt hätte.
Auch in der industriellen Fertigung könnte solch ein System assistieren: Wenn etwa eine Maschine nicht funktioniert, könnte das Beratungssystem Anleitungen, Dokumentationen oder auch Internetforen "lesen" und Vorschläge zur Fehlerbehebung ableiten. Auch Journalisten könnten profitieren, indem die Systeme frei verfügbare Daten der öffentlichen Verwaltung oder zugespielte Daten wie die "Panama Papers" auswerten.
Das Schwerpunktprogramm bringt Forscher aus einer Reihe von Teildisziplinen der Informatik zusammen: Künstliche Intelligenz, Computerlinguistik, Wissensrepräsentation, Suchmaschinen, Semantisches Web und Mensch-Maschine-Interaktion. "Ratio" läuft von 2017 bis 2023. Für die Forschung im Schwerpunktprogramm stehen pro Jahr zwei Millionen Euro zur Verfügung, also insgesamt zwölf Millionen Euro. Zum Programmausschuss gehören neben Prof. Dr. Philipp Cimiano von der Universität Bielefeld und Prof. Dr. Gerhard Heyer von der Universität Leipzig auch Prof. Dr. Benno Stein von der Bauhaus-Universität Weimar, Prof. Dr. Michael Kohlhase von der Jacobs University Bremen und Prof. Dr. Jürgen Ziegler von der Universität Duisburg-Essen.
In den Schwerpunktprogrammen der Deutschen Forschungsgemeinschaft sollen wissenschaftliche Grundlagen besonders aktueller oder sich gerade bildender Forschungsgebiete untersucht werden. "Ratio" ist eins von 17 neuen Schwerpunktprogrammen, die 2017 starten und aus 76 zuvor bei der DFG eingereichten Initiativen ausgewählt wurden.