Pressemitteilung 2015/010 vom

Forschern der Universität Leipzig ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zum Verständnis der Bildung von Nervenbahnen gelungen. Sie entdeckten einen Weg, bestimmte Proteine regelrecht an- und abzuschalten, die für die Sicherung von Nervenbahnen von Bedeutung sind. Ähnlich wie die einzelnen Adern von elektrischen Kabeln sind die Nervenbahnen voneinander isoliert, um Fehlfunktionen zu vermeiden. Zuständig für die Isolierung ist eine Zellschicht, die Myelin genannt wird, und sich schützend um die Nervenbahnen wickelt. Eine gestörte Myelinisierung findet man bei Krankheiten wie der Multiplen Sklerose. Eine gerade erst in den Fokus rückende Gruppe von Rezeptoren, deren Funktion bisher im Dunkeln lag, ist dabei offenbar von entscheidender Bedeutung. Die Erkenntnisse wurden jetzt im international renommierten Journal "Cell Reports" publiziert. Ein eigens gegründeter Forscherverbund wird sich in den kommenden drei Jahren der speziellen Rezeptorengruppe widmen.

Bei Zebrafischen wies die Forschergruppe um Dr. Ines Liebscher und Prof. Dr. Torsten Schöneberg am Institut für Biochemie der Medizinischen Fakultät nach, dass über die speziellen Rezeptormoleküle ein Signalweg manipuliert werden kann. Wird das Protein abgeschaltet, kommt es im betroffenen Organismus zu Erkrankungen des Nervensystems. "Es geht um Rezeptoren, die ihre Signale über sogenannte G-Proteine weiterleiten, weshalb sie auch G-Protein gekoppelte Rezeptoren oder kurz GPCR - für das englische G protein-coupled receptor - genannt werden", erläutert Dr. Liebscher. GPCR vermitteln ihren Worten nach alles, was man sich im Körper vorstellen kann. "Durch GPCR kann der Mensch sehen, sein Immunsystem steuern, den Hormonhaushalt lenken." Die große Familie der GPCR werde in fünf Subklassen unterteilt, wovon sich die Forscher die sogenannten Adhäsions-GPCR genauer anschauten. "Diese haben riesig große äußere Strukturen, den so genannten N-Terminus. In diesem Bereich gibt es Einzeldomänen, die das aneinander Kleben von Zellen oder Proteinen vermitteln", erklärt Liebscher. Wobei der Begriff des Klebens in diesem Zusammenhang die Interaktion zwischen einem Teil des Rezeptors und Proteinen beschreibt, die in der extrazellulären Matrix - also dem Raum um die Zellen - vorkommen.

Myelinscheiden wirken wie die Isolierung bei Elektrokabeln

Wie Institutsleiter Torsten Schöneberg sagt, hat ein Rezeptormolekül zwei Aufgaben: "Es muss ein bestimmtes Signal erkennen, und es muss das Signal in die Zelle hineinbringen und dort in die 'Sprache' des Stoffwechsels der Zelle übersetzen." Ines Liebscher fügt hinzu: "Für einen der Rezeptoren - GPR 126 - konnte gezeigt werden, dass er ursächlich mit dafür verantwortlich ist, dass sich Myelinscheiden um Nerven bilden." Myelinscheiden sind Biomembranen, die sich um Nervenbahnen legen, vergleichbar mit Isolierungen von Elektrokabeln. Fehlt die Isolierung, entwickelt der betroffene Organismus Störungen der Nervenreizleitung wie beispielsweise bei der Multiplen Sklerose. "Wenn der Rezeptor komplett aus einem biologischen System herausgenommen wird, sieht man, dass die Zellen, die diese Myelinscheiden bilden, ihre Aufgabe nicht mehr wahrnehmen", beschreibt sie den Prozess. In der jetzt veröffentlichten Studie wurde gezeigt, wie diese Rezeptoren aktiviert werden können. Dabei wurde mit Zebrafischen gearbeitet. "Wenn der GPR126-Rezeptor von außen eingeschaltet wurde, konnte in Zebrafischen mit einem partiellen Rezeptordefekt die Myelinisierung von Nerven reaktiviert werden."

Durch mechanische Reize aktiviert

Anders als bei Adrenalin oder Serotonin, die direkt wirken, ist bei diesen Rezeptoren das Signal an die Zelle im Protein verpackt, beschreibt Schöneberg: "Es ist quasi in eine Box gepackt und es bedarf beispielsweise eines mechanischen Reizes, um sie zu öffnen. Dadurch wird das eigentliche Signal freigelegt und aktiviert den Rezeptor." Bei einigen Vertretern dieser Rezeptorgruppe seien sich die Wissenschaftler jetzt relativ sicher, dass sie mechano-sensitiv sind, also durch Bewegung aktiviert werden. Jedoch bleiben zahlreiche Fragen offen, unter anderem die, welche Zellbewegungen ein Signal auslösen oder ob alle Vertreter dieser Rezeptorgruppe ähnlich funktionieren.

Neuer Forschungsverbund gegründet

Dieser und anderen Aufgabenstellungen wird sich eine Forschergruppe widmen, die von den Leipziger Wissenschaftlern in Zusammenarbeit mit Kollegen aus Erlangen, Würzburg und Mainz auf die Beine gestellt wurde. Von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) über die kommenden drei Jahre mit mehr als zwei Millionen Euro gefördert, wollen sie in acht Projekten - davon allein vier in Leipzig - der neu zu betrachtenden GPCR-Rezeptorgruppe auf die Spur kommen. Da diese Rezeptoren für sehr viele unterschiedliche Entwicklungen im Organismus verantwortlich sind, wird zukünftig auch die Entstehung zahlreicher Krankheiten besser erklärbar sein. Die Liste reicht von Tumorerkrankungen über Adipositas bis hin zu angeborenen Fehlbildungen des Gehirns. Wenn der Grund für Erkrankungen erklärt werden kann, dann ist laut Biochemiker Schöneberg der erste Schritt auf dem Weg zu einer Therapie bereits gegangen.

Fachveröffentlichung:
A Tethered Agonist within the Ectodomain Activates the Adhesion G Protein-Coupled Receptors GPR126 and GPR133, in Cell-Reports
doi: 10.1016/j.celrep.2014.11.036