Pressemitteilung 2021/057 vom

Lebendige Organismen von Bakterien bis hin zu ganzen Organismen können ihre Umgebung wahrnehmen, diese Informationen verarbeiten, speichern und wieder abrufen. Sie lernen, um auf spätere Situationen mit geeigneten Aktionen reagieren zu können. Physiker der Universität Leipzig unter der Leitung von Prof. Dr. Frank Cichos haben in Zusammenarbeit mit Kollegen der Karls-Universität Prag eine Methode entwickelt, um winzig kleinen, künstlichen Mikroschwimmern mit Hilfe von Algorithmen des Maschinenlernens eine gewisse Lernfähigkeit anzueignen. Gerade haben sie dazu in dem renommierten Fachjournal „Science Robotics“ ein Paper veröffentlicht.

Mikroschwimmer sind künstliche, selbstgetriebene, mikroskopisch kleine Teilchen. Sie sind in der Lage, sich in einer Lösung gerichtet zu bewegen. Die Arbeitsgruppe Molekulare Nanophotonik der Universität Leipzig hat dabei spezielle Teilchen entwickelt, die kleiner als ein Dreißigstel eines Haardurchmessers sind. Ihre Bewegungsrichtung können sie ändern, indem winzige Goldpartikel auf ihrer Oberfläche erwärmt werden und diese Energie in Bewegung umsetzen. „Diese miniaturisierten Maschinen können jedoch nicht wie ihre lebenden Vorbilder Informationen aufnehmen und lernen. Um das zu erreichen, benutzen wir eine externe Kontrolle der Mikroschwimmer, damit diese die Navigation in einer virtuellen Umgebung durch das sogenannte Reinforcement Learning lernen“, erklärt Cichos. 

Mit Hilfe von virtuellen Belohnungen finden die Mikroschwimmer ihren Weg durch die Flüssigkeit und werden dabei vor allem durch die Brownsche Bewegung immer wieder von ihrem Weg abgebracht. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass nicht der Schwimmer der Beste ist, der am schnellsten ist, sondern es vielmehr eine optimale Geschwindigkeit gibt“, sagt Viktor Holubec, der als Stipendiat der Alexander von Humboldt Stiftung an diesem Projekt mitgearbeitet hat und jetzt an die Universität in Prag zurückgekehrt ist.  Eine Verbindung von künstlicher Intelligenz und aktiven Systemen wie bei diesen Mikroschwimmern ist nach Ansicht der Wissenschaftler ein erster kleiner Schritt zu neuen intelligenten mikroskopischen Materialien, die autonom Aufgaben erfüllen und sich gleichzeitig auch auf ihre neue Umgebung einstellen können.

Gleichzeitig erhoffen sie sich aus der Kombination künstlicher Mikroschwimmer und Verfahren des Maschinenlernens neue Erkenntnisse über die Entstehung kollektiven Verhaltens in biologischen Systemen. „Unser Ziel ist es, künstliche, intelligente Bausteine zu entwickeln, die ihre Umgebungseinflüsse wahrnehmen und aktiv darauf reagieren können“, sagt der Physiker. Ist diese Methode einmal ausgereift und auf andere auch biologische Materialsysteme ausgedehnt, könnte sie beispielsweise bei der Entwicklung von intelligenten Arzneimitteln oder mikroskopischen Roboterschwärmen angewandt werden.

Originaltitel der Veröffentlichung in „Science Robotics“:

"Reinforcement Learning with Artificial Microswimmers", DOI: 10.1126/scirobotics.abd9285