1. Können Sie sich noch an Ihre ersten Studientage erinnern – wie war Ihr erster Eindruck von der Universität Leipzig?
Meine frühste Erinnerung bezieht sich auf den Orientierungstag, den der Fachschaftsrat damals angeboten hatte. Tolles Ereignis für mich: zwei Wochen später hab ich mich im FSR engagiert. Dieses Engagement hat mein Studium und mein soziales Leben in Leipzig sehr positiv und nachhaltig geprägt. Darüber hinaus hab ich an dem Orientierungstag Leute kennengelernt, mit denen ich 10 Jahre später immer noch befreundet bin.
2. Wenn Sie zurückblicken, wie würden Sie Ihr Studium kurz beschreiben?
Positiv. Viel Freiheit, aber auch der damit verbundene, tägliche Kampf gegen den inneren Schweinehund. Aber ich konnte meine intellektuelle Neugier tatsächlich befriedigen. Ein bisschen mehr Struktur, Methodologie und Berufsvorbereitung (auch Wissenschaftler ist ein Beruf) wäre hilfreich gewesen. Aber das hat sich nach der Bologna-Reform mutmaßlich grundlegend geändert.
3. Haben Sie jemals an Ihrer Studienwahl gezweifelt? Wenn ja, wie sind Sie damit umgegangen?
Unklare Jobperspektive. Hab dann versucht, meine inhaltliche Spezialisierung so zu gestalten, dass ich auch auf dem Arbeitsmarkt einen Platz finde. Aber für diejenigen, die motiviert sind, ist das eigentlich kein Problem. Allerdings sollte man Politikwissenschaft nicht aus Verlegenheit studieren. Dafür sind die Wahl interessanter Spezialisierungen und die beruflichen Perspektiven zu stark von einem inneren Interesse, einer Leidenschaft für das Verstehen politischer Prozesse abhängig.
4. Welche Motivationen haben Ihre Studien- bzw. Berufswahl bestimmt?
Bei einer Umfrage unter Erstsemester hab ich damals geschrieben, dass ich politisch handlungsfähig werden möchte. Ich war damals politisch stark engagiert und dachte, ein Politikstudium würde mir helfen, Politik zu machen. Wer sich mit ähnlichen Gedanken trägt: studiert Jura oder VWL, wenn ihr politisch handlungsfähig werden wollt. Politikwissenschaft ist ein bisschen wie der Ornithologe, der zwar Vögel studiert, aber nicht selber fliegen lernem möchte.
5. Was waren wichtige Stationen auf Ihrem beruflichen Weg?
Erasmusstudium in Frankreich, Praktika und Auslandsaufenthalte in Senegal, Mexiko…. Engagiertes Studieren hat mir früh zu Hiwi-Stellen (sowas wie ein studentischer Assistent für ProfessorInnen) verholfen. Dies war eine sehr wichtige Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln und näher an den eigentlichen Forschungsprozess zu kommen. Aber sehr viele Lebensentscheidung werden durch zufällige Kontakte und Möglichkeiten bestimmt. Man kann, und sollte, nicht alles fest durchplanen. Aber es hilft ungemein, ein Ziel oder eine Orientierung zu haben.
6. Wie sehr hat Ihr Studium Ihre jetzige berufliche Tätigkeit geprägt? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Ihrem Studium und Ihrer Tätigkeit? Können Sie noch Dinge aus Ihrem Studium nutzen?
In meiner gegenwärtigen Rolle als Doktorand und Dozent ist mein Berufsalltag die logische Fortsetzung meines Studiums.
7. Wie sieht ein typischer Arbeitstag in Ihrer jetzigen Position aus?
Kurse für Undergraduates (i.e. Bachelor-Studierende) unterrichten und meine eigene Forschung (Urban Studies) vorantreiben: Zeitschriften und Bücher lesen, recherchieren, diskutieren, Datensätze analysieren, wissenschaftliche Publikationen vorbereiten, kurz: Lehre und Forschung.
8. Was sind die wichtigsten drei Kompetenzen in Ihrem Arbeitsalltag?
- Rasche Auffassungsgabe, hilfreich ist ein breites Allgemeinwissen
- Analytisches Denken und Fähigkeit zu klarer, logischer Argumentation
- Viel Kommunikation, insbesondere in einem extrem interkulturellem Berufsumfeld (Offenheit und Respekt sind oft wichtiger als die eigentlichen Sprachkenntnisse)
- Mit (vorübergehend…) sehr knappem Budget zu leben
9. Wie gelingt Ihrer Meinung nach ein guter Berufseinstieg in Ihrer Branche (Einstiegswege, Bewerbungstipps, etc.)?
Für eine wissenschaftliche Laufbahn:
- Neugier und Leidenschaft für das Thema
- Früh Zugang zu Professoren finden (Hilfskraft). Der beste Weg dürfte sein, früh Tutorien zu unterrichten
- Auf wissenschaftl. Konferenzen fahren. Hinfahren, reinsetzen, zuhören. Viel mehr ist am Anfang nicht verlangt. Eine faszinierende Erfahrung. Und für Studenten häufig umsonst.
10. Was würden Sie den heutigen Studienanfänger/innen mit auf den Weg geben?
Politikwissenschaft kann einem ein sehr spannendes Leben ermöglichen. Viel Geld verdient man jedoch zumeist woanders. Politikwissenschaft ist kein Studium, welches man aus Verlegenheit aufnehmen sollte. Bevor ihr ein Studium wählt, solltet ich euch folgendes bewusst machen: das Studium ist kurz, das anschließende Berufsleben lang. Orientiert euch daher nicht nur daran, in welchem studentischen, sondern auch in welchem beruflichem Umfeld ihr euch vermutlich wohl fühlen werdet (sozial, inhaltlich und finanziell).
Persönliche Angaben
- Name: Eilert Stamm
- Geburtsjahrgang: 1981
- Studiengang: Diplom-Politologe
- Jahr der Immatrikulation: 2002
- Jahr der Exmatrikulation: 2009
- Heutiger Arbeitgeber/Position: Doktorand am Department of Public Administration, Florida International University in Miami
(Interview Stand Juni 2013)