Die rasant steigende Inflation und massive Verkäufe an den Anleihemärkten sorgen bei den Notenbankern offenbar für große Beunruhigung. Die Europäische Zentralbank (EZB) hielt am Mittwoch eine außerordentliche Ratssitzung ab. Worum ging es dabei?
Da die Inflation im Euroraum stark auf 8,1 Prozent angestiegen ist, sah sich die EZB am 9. Juni gezwungen, einen Ausstieg aus der sehr lockeren Geldpolitik anzukündigen. Die Anleihekäufe der EZB sollen eingestellt werden. Im Juli und September sollen die Leitzinsen angehoben werden. Daraufhin sind die Zinsen auf italienische Staatsanleihen deutlich angestiegen, was einen Vertrauensverlust der Märkte in die italienischen Staatsfinanzen zeigt. Bei der Sitzung ging es wohl darum, den Vertrauensverlust in Italien und den Euro einzudämmen.
Der Euro ist gegenüber dem Dollar auf den tiefsten Stand seit 2017 gefallen. Welche Folgen hat das?
Die EZB hat sich in eine Zwickmühle gebracht. Durch die lange Niedrigzinspolitik hat sie die Euroländer zu hoher Verschuldung verleitet. Während in den USA die Zentralbank Fed aufgrund der hohen Inflation die Zinsen stark anhebt, sind der EZB die Hände gebunden. Denn einige hoch verschuldete Euroländer könnten bei stark steigenden Zinsen zahlungsunfähig werden. Je höher die Zinsen in den USA im Vergleich zum Euroraum, desto größer ist der Abwertungsdruck auf den Euro. Je mehr der Euro abwertet, desto schneller steigen die Preise importierter Güter einschließlich Rohstoffen und Rohöl. Das treibt die Inflation noch weiter nach oben, obwohl das gesetzlich verankerte Ziel der EZB die Preisstabilität ist.
Muss sich die EZB nun an die Worte ihres ehemaligen Chefs Mario Draghi erinnern, der 2012 sagte, dass die EZB innerhalb ihres Mandats alles Notwendige tun werde, um den Euro zu retten?
Dieser Moment könnte bald wieder bevorstehen. EZB-Ratsmitglied Isabel Schnabel hat jüngst in Paris gesagt, dass die EZB mit ihrer Geldpolitik der Fragmentierung entgegenwirken und so zur europäischen Einheit beitragen werde. Das könnte bereits ein Rettungsversprechen für die Staatsfinanzen Italiens und anderer Euroländer wie Spanien oder Frankreich sein.
Welche Instrumente könnte die EZB nutzen und womit rechnen Sie?
Die EZB hat am 9. Juni angekündigt, dass sie zwar die Anleihekäufe einstellen würde, aber auslaufende Staatsanleihen, die sich in ihrer Bilanz befinden, ersetzen werde. Damit können beispielsweise fällig werdende deutsche Bundesanleihen durch italienische Staatsanleihen ersetzt werden, um die Zinsdifferenz zwischen Italien und Deutschland zu reduzieren. Im Anschluss an das heutige Treffen wurde angekündigt, dass die EZB nun von diesem Instrument Gebrauch machen werde. Die EZB eilt damit den hochverschuldeten Euroländern zu Hilfe. Zudem hat die EZB angekündigt ein neues „Antifragmentierungsinstrument“ zu entwickeln. Der Grund könnte sei, dass die Umschichtung nicht ausreichend Spielraum für die notwendigen Rettungsmaßnahmen geben könnte.
Droht eine neue Schuldenkrise in Europa?
Seit der Ankündigung von Mario Draghi im Jahr 2012 droht in Europa eine Schuldenkrise. Sie wurde nur durch die sehr umfangreichen Staatsanleihekäufe der EZB versteckt. Dass es bei der ersten Ankündigung einer geldpolitischen Straffung zu solchen Turbulenzen kommt, muss sehr skeptisch stimmen. Seit Einführung des Euros im Jahr 1999 zieht sich ein tiefer Graben durch den Euroraum. Italien ist 1999 dem Euro beigetreten, obwohl die Staatsverschuldung mit 113 Prozent des Bruttoinlandsprodukts weit über der Obergrenze von 60 Prozent lag. Seitdem ist die Staatsverschuldung auf über 150 Prozent angestiegen. Der Reformwillen im Süden des Euroraums ist gering und man verlässt sich lieber auf Hilfen aus dem Norden.
Wie könnte sich der Euro langfristig entwickeln?
Italien und andere Eurosüdländer scheinen auf ein unbegrenztes Finanzierungsversprechen durch die EZB zu hoffen. Der damit verbundenen Transferunion sind wir mit der heutigen Ankündigung wieder ein deutliches Stück nähergekommen. Das widerspricht den europäischen Verträgen und der Preis ist hoch. Die dafür notwendige extrem lockere Geldpolitik hat negative Wachstums- und Verteilungseffekte. Es steigen nicht nur die Immobilienpreise, sondern die Konsumentenpreise. Statt einer Währungskrise könnte deshalb bald eine gesellschaftliche Krise folgen. Das deutet sich in Frankreich bereits an.