Dieser ist mit zwei bis drei Grad Celsius in den letzten 50 Jahren viel stärker als die Erwärmung in anderen Regionen der Erde. Dieses Phänomen wird als „arktische Verstärkung“ bezeichnet. Die Temperaturerhöhung wirkt sich nicht nur auf das regionale Klimasystem der Arktis aus. Auch das heimische Wetter in den mittleren Breiten kann durch den Temperaturanstieg in der Arktis beeinflusst werden. Die HALO-(AC)3-Kampagne wird dazu beitragen, die Prozesse hinter den derzeit ablaufenden drastischen Klimaveränderungen in der Arktis besser zu verstehen. Bereits während der ersten Messflüge seit dem 12. März 2022 gab es einen massiven Warmlufteinschub in die Arktis. Bei diesem Ereignis wurden mehrere ungewöhnliche Phänomene wie starker Regen über dem Meereis und massive Wolken, die fast so hoch wie in den Tropen reichen, beobachtet. Mit der heutigen Ankunft weiterer Forschungsflugzeuge starten am 19. März 2022 die geplanten, koordinierten Messflüge, um die Komplexität dieser Ereignisse besser zu verstehen.
Prof. Dr. Manfred Wendisch vom Institut für Meteorologie der Universität Leipzig ist wissenschaftlicher Koordinator der fünfwöchigen HALO-(AC)³-Messkampagne, bei der die Änderungen von Luftmassen auf ihrem Weg in und aus der Arktis untersucht werden sollen. Was genau dabei mit den Luftmassen insbesondere in Bezug auf die Wolkenbildung geschieht, soll detailliert beobachtet und mit modernsten Instrumenten vermessen werden. Diese Luftmassenänderungen können nicht durch lokale bodengestützte Messungen charakterisiert werden, denn in der zentralen Arktis gibt es nur wenige meteorologische Messstationen. Deshalb werden im Rahmen von HALO-(AC)³ drei deutsche Messflugzeuge zur Beobachtung der Luftmassen auf ihrem Weg in die Arktis hinein beziehungsweise aus der Arktis heraus eingesetzt. Die große Reichweite der Flugzeuge wird genutzt, um die Veränderungen der Luftmassen mit Hilfe der sogenannten quasi-Lagrange‘schen Beobachtungsmethode zu charakterisieren. Bei dieser Art von Messung wird die Flugroute an die Zugrichtung der Luftmasse angepasst, um die Veränderungen von Wolken, Feuchtigkeit, Temperatur und vieler weiterer Parameter direkt zu vermessen. Die so gewonnenen Daten sollen zur Abschätzung der Genauigkeit von numerischen Wettervorhersagemodellen genutzt werden, die für die Vorhersage zukünftiger Änderungen des arktischen Klimas notwendig sind. Damit wird die Kampagne helfen, eine wichtige Wissenslücke in der Klimaforschung zu schließen, die auch der Weltklimarat IPCC im zweiten Teil seines aktuellen Sachstandsberichts aufzeigt. Manfred Wendisch fasst die Zielstellung von HALO-(AC)³ zusammen: „Die Vorhersage der Zukunft des arktischen Klimas bleibt schwierig. Um zur Klärung wesentlicher Unsicherheiten bei der Projektion der zukünftigen Klimaentwicklung in der Arktis beizutragen, wollen wir unter Nutzung einer neuartigen Beobachtungsmethode eine umfangreiche Flugzeugkampagne durchführen, die HALO-(AC)³-Kampagne.“Koordinierte Messflüge mit drei Forschungsflugzeugen
Drei deutsche Forschungsflugzeuge werden für die HALO-(AC)³-Messungen eingesetzt: Zum einen ist dies HALO (High Altitude and Long Range Research Aircraft), ein modernes Forschungsflugzeug, welches vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betrieben wird. „HALO wird in größeren Höhen als Fernerkundungsplattform operieren, denn es ist in der Lage, in Höhen von bis zu 15 Kilometern lange Strecken von bis zu 10.000 Kilometern zurückzulegen“, erklärt Dr. Andreas Minikin von der DLR-Einrichtung Flugexperimente. Zum anderen werden, in Kombination mit HALO, die zwei Polarflugzeuge Polar 5 und Polar 6 in geringeren Höhen die Luftmassen detailliert vermessen. Die beiden Polarflugzeuge kommen unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) bereits seit mehr als zehn Jahren in der Arktis zum Einsatz. Ergänzend zu HALO messen die Polarflugzeuge in einem Höhenbereich unterhalb von sechs Kilometern und können dabei Strecken von 1.500 bis 2.000 Kilometern zurücklegen. Dr. Andreas Herber, Wissenschaftler am AWI und Koordinator von Polar 5 und Polar 6, ergänzt: „Die Reichweite der Polarflugzeuge ist zwar geringer, aber ein wesentlicher Vorteil dieser Forschungsflieger besteht darin, dass sie langsam und tief fliegen können und damit eine Momentaufnahme von ganz speziellen Prozessen in, unter und über Wolken beziehungsweise in der planetaren Grenzschicht messtechnisch erfassen können.“
Die Flugzeuge sind mit hochmodernen Instrumenten ausgestattet, mit denen die gesamte Atmosphäre vom Boden bis in zehn Kilometern Höhe charakterisiert werden kann. Zu den wichtigsten Messparametern zählen Wolkeneigenschaften, Temperatur- und Feuchtigkeitsprofile, Energieflüsse und Eigenschaften von Aerosolpartikeln und Spurengasen. Prof. Dr. Susanne Crewell, Atmosphärenforscherin an der Universität zu Köln, erläutert: „Durch die Koordinierung der Flugmuster der drei Flugzeuge können wir die Luftmassen bei ihrer räumlichen und zeitlichen Entwicklung verfolgen. Die Messungen ermöglichen es, feinste Wolkenstrukturen bis hin zu einzelnen Wolkenpartikeln näher zu betrachten und den Einfluss des Arktischen Meereises auf die Wolkeneigenschaften zu erforschen. Die Kombination der verschiedenen Messungen ermöglicht es uns, ein nahezu vollständiges Bild der untersuchten Luftmasse zu erhalten.“ Wichtige Helfer hierbei sind die sogenannten Dropsonden, die von den Flugzeugen abgeworfen werden und an kleinen Fallschirmen zu Boden gleiten. Auf ihrem Weg durch die Atmosphäre liefern sie Messungen von Temperatur, Luftdruck und Feuchte.
Aus Leipzig sind Wissenschaftler:innen des Leipziger Instituts für Meteorologie (LIM) der Universität Leipzig und des Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) vor Ort im Einsatz. Das Team des LIM ist auf die Beobachtung von Wolkeneigenschaften und entsprechenden Auswirkungen auf den Energietransfer zwischen Boden, Atmosphäre, und den Wolken fokussiert. Deshalb haben die Leipziger Forscheri:nnen auf HALO und Polar 5 ähnliche spektrale Sensoren und Kamerasysteme installiert. Diese werden helfen, den Lebenszyklus von Wolken während der Luftmassentransporte genau zu verfolgen. „Es wird dann sehr spannend sein, wie gut unsere Modelle diese Veränderungen reproduzieren“, sagt Dr. André Ehrlich, der von Leipziger Seite den HALO-Einsatz koordiniert.
Das TROPOS engagiert sich in enger Kooperation mit dem AWI und dem Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz mit Aktivitäten zur Charakterisierung von Aerosolpartikeln und Wolkenpartikelresiduen an Bord der Polar 6. „Von speziellem Interesse sind hierbei die räumliche Verteilung und physikochemischen Eigenschaften von Aerosolpartikeln im Allgemeinen und Partikeln, die zur Bildung und zum Gefrieren von Wolkentropfen beitragen, im Besonderen. Hierzu kommen sowohl ein neuer am TROPOS entwickelter Instrumentensatz zur in-situ-Aerosolcharakterisierung als auch der bereits in früheren Messkampagnen erfolgreich eingesetzte Virtuelle Gegenstromimpaktor zum Einsatz“, erklärt Dr. Frank Stratmann, Leiter der TROPOS-Wolkengruppe.
Parallel zu den Flugzeugmessungen erfolgen Profilmessungen mit einem Fesselballon an der AWIPEV-Forschungsstation des AWI nahe Ny-Ålesund auf Spitzbergen durch das TROPOS und die Universität Leipzig. Dabei werden neben meteorologischen Parametern auch kleinskalige Austauschprozesse, die Strahlung sowie Aerosolparameter vom Boden bis in ein Kilometer Höhe untersucht. Diese Messungen wurden erstmals im Herbst 2021 beim Übergang in die Polarnacht durchgeführt und werden nun beim Übergang in den Polartag wiederholt, um kontinuierliche Bodenmessungen mit den Flugzeugmessungen zu verknüpfen. Messungen mit bodengestützten Fernerkundungsinstrumenten an der AWIPEV-Forschungsstation sowie neueste Satelliten-Fernerkundungsmethoden und modernste numerische Klimamodelle werden den umfangreichen Datensatz der HALO-(AC)³-Kampagne außerdem vervollständigen.
Wann und wo wird gemessen?
Das Forschungsflugzeug HALO ist vom 11. März bis 15. April 2022, in Kiruna, Schweden, stationiert. Die Polarflugzeuge Polar 5 und Polar 6 werden in der Zeit vom 19. März bis 13. April 2022 von Longyearbyen, Spitzbergen, aus operieren. Die Flugzeugmessungen werden sich auf ein Gebiet im nördlichen Arktischen Ozean und in der Framstraße sowie um Svalbard (78°N, 16°E) konzentrieren. Über einen ergänzenden Zeitraum von etwa acht Wochen zwischen Mitte März bis Mitte Mai 2022 sind zudem Ballonmessungen an der AWIPEV-Station nahe Ny-Ålesund, Spitzbergen, geplant.
Welche Partner sind beteiligt?
HALO-(AC)³ ist eine gemeinsame Forschungskampagne der Universität Leipzig, des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung, der Max-Planck-Institute für Meteorologie und Chemie sowie der Universitäten Bremen, Hamburg, zu Köln, Mainz und der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie internationaler Partner. Mehr als 100 Wissenschaftler:innen aus 12 Ländern werden sich an dem Forschungsprojekt beteiligen. HALO-(AC)³ kombiniert die Forschungen zur „Arktischen Verstärkung“ innerhalb des Infrastruktur-Schwerpunktprogramms zur wissenschaftlichen Nutzung von HALO und des Sonderforschungsbereich/Transregio Arktische Klimaänderung (AC)³ (ArctiC Amplification: Climate Relevant Atmospheric and SurfaCe Processes, and Feedback Mechanisms). Beide Großprojekte werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.
Alarmierende Beobachtungen aktueller HALO-Messflüge
Seit dem 12. März 2022 hat HALO bereits mehrere sehr erfolgreiche Forschungsflüge von Kiruna über die Norwegische und die Grönländische See sowie die Framstraße zum Nordpol durchgeführt. Bei diesen Flügen wurde ein massiver Warmlufteinschub in die Arktis untersucht, bei dem mehrere ungewöhnliche Phänomene wie zum Beispiel starker Regen über dem Meereis beobachtet wurden. Dieser Regen könnte schwerwiegende Auswirkungen auf ein mögliches frühes Abschmelzen des Meereises haben, und das bereits Mitte März. Außerdem wurden massive Wolken registriert, die fast so hoch waren wie in den Tropen. Die Oberflächentemperaturen in der Framstraße waren während der ersten Flüge um mehr als 20 Grad Celsius höher als in den Langzeitaufzeichnungen erwartet. Nicht nur die Intensität des beobachteten Warmlufteinschubs, sondern auch die Dauer erscheint ungewöhnlich. Am Dienstag und Mittwoch dieser Woche wurde ein weiterer Feuchtigkeitstransport in die Arktis beobachtet, der als "Atmospheric River" bezeichnet wird und wahrscheinlich zu Rekordniederschlägen und einer noch stärkeren Erwärmung der gesamten Arktis führen wird. Die Vorhersageprodukte deuten darauf hin, dass das Meereis durch diese massive Erwärmung ernsthaft gestört wird. Die Wissenschaftler:innen vor Ort sind sehr gespannt auf weitere Großereignisse und hoffen, diese in den kommenden Tagen weiter verfolgen zu können. Mit der Ankunft der Polarflugzeuge Polar 5 und Polar 6 am 18. März 2022 auf Spitzbergen können die geplanten, koordinierten Messflüge durchgeführt werden, um die Komplexität dieser Ereignisse besser zu verstehen.
Über HALO
Das Forschungsflugzeug HALO ist eine Gemeinschaftsinitiative deutscher Umwelt- und Klimaforschungseinrichtungen. Gefördert wird HALO durch Zuwendungen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Helmholtz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), der Leibniz-Gemeinschaft, des Freistaates Bayern, des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), des Forschungszentrums Jülich (FZJ) und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Über Polar 5 und Polar 6
Das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) forscht in oft unzugänglichen, eisbedeckten Gebieten der Arktis und Antarktis. Der Einsatz von Forschungsflugzeugen ist hier unverzichtbar. Die beiden Maschinen Polar 5 und Polar 6 des Typs Basler BT-67 sind für die Flüge unter den extremen Umweltbedingungen der Polargebiete speziell ausgerüstet. Auf Beton-, Schotter- und Schneepisten können die Flieger mithilfe eines kombinierten Ski- und Radfahrwerks starten und landen. Enteisungssysteme, Heizmatten für Batterien und Triebwerke sowie erweiterte Navigationssysteme erlauben sogar den Blindflug, Landungen bei sehr schwierigen Wetterbedingungen und Temperaturen von bis zu -54 Grad Celsius.
Hinweis für Medienvertreter:innen:
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