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Mit der Rückkehr der Polarstern ist gestern die größte Arktis-Expedition aller Zeiten erfolgreich zu Ende gegangen. Über ein Jahr war der deutsche Forschungseisbrecher dabei in fünf Etappen mit über 400 Personen aus 20 Ländern unterwegs, um das Epizentrum des Klimawandels präziser zu erforschen, als es jemals zuvor möglich war. Auch aus Leipziger Sicht war das komplexe Vorhaben erfolgreich: Alle sieben Teilnehmer vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) und der Universität Leipzig sind gesund und mit wertvollen Klimadaten zurück.

Zum Abschluss der rund 140 Millionen Euro teuren Expedition hat das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), ein positives Fazit gezogen: Trotz aller unvorhersehbaren Schwierigkeiten sei es gelungen, das Wissen zum Klimasystem der Erde und dessen Veränderungen um einen entscheidenden Schritt voranzubringen.

Zwei für die Erforschung der arktischen Atmosphäre zentrale Messprogramme Leipziger Wissenschaftler konnten trotz der Wetterextreme und Corona komplett durchgeführt werden: Ein Mehrwellenlängen-Lidar hat während der gesamten Expedition die Luftschichten über der Polarstern gescannt. In 369 Tagen gingen dabei 640 Millionen Laserpulse in den Himmel und es kamen 112 Gigabyte Daten zusammen. Im Juli konnte das MOSAiC-Atmosphärenteam mit einem Fesselballon die unterste Luftschicht über der schmelzenden Eisscholle vermessen. In einem knappen Zeitfenster gelangen 33 Ballon-Aufstiege, bei denen insgesamt 31725 Meter Seil auf- und abgerollt wurden. Die Ballonmessungen von TROPOS und Universität Leipzig sind besonders wichtig für das Verstehen der polaren Atmosphäre während der Schmelzphase, weil die ursprünglich parallel geplanten Messungen mit Flugzeugen von Spitzbergen aus wegen der Corona-Pandemie auf Herbst verschoben werden mussten. 

„Wir sind froh, dass die ambitionierten Pläne trotz aller Schwierigkeiten im Wesentlichen verwirklicht werden konnten. Ein Highlight sind definitiv die Einblicke in die Troposphäre am Nordpol während des Winters mit unserem Lidar. Soweit nördlich hat das während der Polarnacht vor MOSAiC noch niemand beobachten können“, sagt Prof. Andreas Macke, Direktor des TROPOS. Die Auswertung der Daten läuft noch auf Hochtouren, aber es deutet sich an, dass für die Atmosphäre ähnliches gilt wie für das Eis am Boden: „Viel spricht dafür, dass sich auch die Atmosphäre der Arktis bereits deutlich verändert hat. Wir haben mehr Rauch gesehen als erwartet. Die gewaltigen Waldbrände wirken sich offenbar bis in die Polargebiete aus. Auch diese einst so ursprünglichen Gebiete scheinen inzwischen im ‚Pyrozän‘ angekommen zu sein.“ Bis konkrete Ergebnisse vorliegen, wird es aber noch Monate dauern, in denen die Daten geprüft, analysiert und diskutiert werden müssen bis sie schließlich publiziert werden können. 

Im September 2020 waren im Rahmen von MOSAiC zudem die deutschen Forschungsflugzeuge Polar 5 und Polar 6 des AWI als erste ausländischen Flugzeuge auf Spitzbergen seit dem Corona-Lockdown zu mehreren Messflügen vom Flughafen Longyearbyen aus in die zentrale Arktis gestartet, um die Atmosphäre zu untersuchen: „Mit den umfangreichen Messungen zur Strahlung und den Partikeln wollen wir herausfinden, wie sich die Wolken in der Arktis auf die Erwärmung am Boden auswirken. Die Arktis hat sich in den letzten Jahren so stark erwärmt wie keine andere Region der Erde. Die Rückkopplungsmechanismen dabei sind sehr komplex und noch nicht ausreichend verstanden. Dieses Wissen ist aber essentiell, damit die Klimamodelle in der Lage sind, auch für die Region um den Nordpol abzuschätzen, wie schnell sich das Klima dort verändern wird“, erklärt Prof. Dr. Manfred Wendisch vom Institut für Meteorologie der Universität Leipzig, der auch Sprecher des Sonderforschungsbereichs „Arktische Klimaänderung“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ist. 

Zum Verbund gehören die Universitäten in Bremen, Köln und Leipzig sowie das AWI in Bremerhaven und TROPOS in Leipzig. Ziel des Forschungsverbundes ist es, den dramatischen Klimawandel in der Arktis mit verschiedenen Methoden zu beobachten, um die Verlässlichkeit von Modellen zu verbessern und genauere Vorhersagen zur weiteren Erwärmung in der Arktis zu ermöglichen. Die MOSAiC-Expedition wird dazu einen bedeutenden Beitrag leisten und von den Verbund-Partnern in den kommenden Monaten intensiv ausgewertet werden. 

„Ich bin sehr glücklich über den guten Verlauf und den vollen Erfolg der MOSAiC-Expedition. Wir liefern mit ihr die so dringend benötigen Klimadaten und Beobachtungen, die die Menschheit für drängende tiefgreifende politische Entscheidungen zum Klimaschutz benötigt“, sagte Prof. Markus Rex, Expeditionsleiter und Leiter des MOSAiC-Projekts vom Alfred-Wegener-Institut, dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, zum Finale der Jahrhundertexpedition. „Wir haben gesehen, wie das Eis der Arktis stirbt. Im Sommer war es von der Wärme selbst direkt am Nordpol völlig aufgeschmolzen und erodiert. Wenn wir die Klimaerwärmung nicht sofort und massiv bekämpfen, wird das arktische Eis im Sommer bald verschwunden sein, mit unabsehbaren Folgen für Wetter und Klima auch bei uns. Im Winter ist die zentrale Arktis zwar auch heute noch eine faszinierende, tief gefrorene Landschaft, aber das Eis ist nur noch halb so dick wie vor 40 Jahren und unsere Temperaturen lagen im Winter fast durchgehend zehn Grad höher, als sie Fridtjof Nansen in seiner bahnbrechenden Arktisexpedition vor gut 125 Jahren erlebt hat.“

Am 20. September 2019 war die Polarstern vom norwegischen Hafen Tromsø in die zentrale Arktis aufgebrochen und damit mitten ins Epizentrum des Klimawandels. Dort ließ sie sich im Eis einfrieren und es begann eine einjährige Drift mit dem Eis über die Polkappe, vollständig den Kräften der Natur ausgeliefert – ihre Route und Geschwindigkeit bestimmte allein die Drift des Eises, getrieben von Wind und Strömung. 

Insgesamt 442 wissenschaftliche Fahrtteilnehmende, Polarstern-Crewmitglieder, Nachwuchsforschende, Lehrkräfte und Medienschaffende waren während der fünf Expeditionsabschnitte dabei. Sieben Schiffe, mehrere Flugzeuge sowie mehr als 80 Institutionen aus 20 Ländern beteiligen sich. Die wissenschaftlichen Teilnehmenden der Expedition hatten 37 unterschiedliche Nationalitäten. Ihr gemeinsames Ziel: die komplexen Wechselwirkungen im Klimasystem zwischen Atmosphäre, Eis und Ozean zu erforschen und besser in Klimamodellen darzustellen. Ein Jahr lang haben sie außerdem das Leben in der zentralen Arktis untersucht. Jetzt kommen sie voller Eindrücke aus der sich wandelnden Arktis zurück, mit einem einmaligen Datenschatz, dessen Auswertung und Analyse eine ganze Generation von Klimaforschenden beschäftigen wird.

Aus Leipziger Sicht wird die nächste umfangreiche Messkampagne in der Arktis die „HALO-(AC)³“-Mission mit den deutschen Forschungsflugzeugen HALO und Polar 6 im Frühjahr 2022 sein. Der Fesselballon BELUGA wird hingegen schon im Spätsommer 2021 – sofern es die Pandemiebedingungen erlauben – wieder in den Himmel der Arktis aufsteigen. Diesmal allerdings von festem Boden im Forschungsdorf Ny-Ålesund auf Spitzbergen aus.