Das Buch trägt den Titel „Von Lügenpresse und abgehobenen Eliten. Journalismus- und Demokratievertrauen in Sachsen“ . Was war Ausgangsthese Ihrer Untersuchung und warum haben Sie sich für das Mittel Leitfadeninterview entschieden?
Judith Kretzschmar: Einerseits sind wir so offen wie möglich an die Befragten herangegangen, weil wir wirklich in Ruhe zuhören und die Gründe für Misstrauen in der Tiefe verstehen wollten. Die Methode des Einzelinterviews per Leitfaden war da am geeignetsten. Wir hatten aber eine These: dass die Einstellung gegenüber den etablierten Medien eng zusammenhängt mit der Einstellung gegenüber Politik und Demokratie.
Wie haben Sie die Interviews ausgewertet?
Uwe Krüger: Alle Interviews – etwa 73 Stunden Material – wurden verschriftlicht und offen kodiert, das heißt: Wir haben aus den Transkripten die Gründe herausgeschält, die für Ver- und Misstrauen gegenüber Medien und Politik entscheidend sind.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?
Uwe Krüger: Tatsächlich ist es so, dass man entweder sowohl den Medien als auch der Politik misstraut oder eben beiden vertraut. Medienskepsis ist also kein isoliertes Phänomen, sondern drückt eher eine Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen Verhältnissen aus.
Judith Kretzschmar: Und: Der Lügenpresse-Verdacht hängt oft damit zusammen, dass man einen moralischen Druck durch die mediale oder politische Debatte verspürt. Man soll bestimmte Veränderungen akzeptieren oder sein Verhalten ändern – und das wird auf eine konzertierte Manipulationsabsicht „von oben“ zurückgeführt.
Gibt es Erkenntnisse, die Sie so nicht erwartet hätten?
Judith Kretzschmar: Die DDR ist sehr lebendig als Vergleichsfolie für die heutigen Verhältnisse: Viele Befragte führten die DDR als negativen Kontrast zu heute an, noch mehr aber sagen, dass heute eigentlich alles wie früher ist. Einige sehen zwischen der heutigen liberalen Demokratie und einer Einparteien-Diktatur mit gleichgeschalteter Staatspresse gar keinen Unterschied. Die Begründungen dafür sind schon bemerkenswert: Es werde eine Meinung vorgegeben, man werde erzogen und belehrt, man müsse wieder zwischen den Zeilen lesen.
Aus den Ergebnissen Ihrer Studie können Journalist:innen etwas lernen. Sollten sie vielleicht auch etwas daraus lernen?
Uwe Krüger: Wenn Berichterstattung konstruktiver, depolarisierender, nüchterner, weniger thesengetrieben und weniger wertend würde, dürfte das das Medienvertrauen unter den Bedingungen gesellschaftlicher Spaltungen stärken.
Judith Kretzschmar: Wir brauchen auch mehr Medienbildung, mehr politische Bildung, mehr zwischenmenschliche Begegnung – und mehr Bürgerjournalismus. Wenn man das journalistische Handwerk selbst einmal in Grundzügen erlernt und ausprobiert hat, schaut man sicher anders auf Medieninhalte.
- Judith Kretzschmar; Markus Beiler; Uwe Krüger & Florian Döring (2025): „Von Lügenpresse und abgehobenen Eliten. Journalismus- und Demokratievertrauen in Sachsen.", erschienen im transcript Verlag als Open Access
Neues Projekt „Bürger machen Journalismus - Stärkung des Medienvertrauens für eine Demokratie im Wandel“
Im April 2025 startet das Praxis- und Forschungsprojekt „Bürger machen Journalismus - Stärkung des Medienvertrauens für eine Demokratie im Wandel“, das für fünf Jahre von der VolkswagenStiftung gefördert wird. Das Projekt wurde von einem interdisziplinären wissenschaftlichen Team der Universität Leipzig gemeinsam mit dem Landesverband Sachsen des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) ins Leben gerufen und wird im Zentrum Journalismus und Demokratie (JoDem) am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig angesiedelt sein. Bürger machen Journalismus“ hat sich zum Ziel gesetzt, Distanz zwischen Bürger:innen und Journalist:innen abzubauen, gemeinsame Lernprozesse anzustoßen und neues Vertrauen in den Journalismus aufzubauen.
- Veranstaltungshinweis
Die Autor:innen des Zentrums Journalismus und Demokratie (JoDem) stellen die Studie am 13. Februar 2025, 16:30 Uhr im Vortragssaal der Bibliotheca Albertina der Öffentlichkeit vor und präsentieren einen Überblick über die gewonnenen Erkenntnisse. Im Anschluss wird dazu auf dem Podium diskutiert.