Nachricht vom

Vom 19. bis 22. September werden auf dem 54. Historikertag neueste Ergebnisse und Anliegen aus der historischen Forschung diskutiert. Prof. Dr. Julia Schmidt-Funke ist Frühneuzeithistorikerin an der Universität Leipzig und am aktuellen Exzellenzclustervorhaben „New Global Dynamics“ beteiligt. Sie ist außerdem Co-Leiterin der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Historische Anthroposphären“ im LeipzigLab. Am 21. September diskutiert sie auf einem Panel des Historikertags mit Kolleg:innen über das Anthropozän als Herausforderung für die Geschichtswissenschaft. Im Interview erzählt Julia Schmidt-Funke, was es mit dem Begriff Anthropozän auf sich hat und woran sie aktuell forscht.

Was verbirgt sich hinter dem Begriff Anthropozän und warum beschäftigt er die Wissenschaft?

Prof. Dr. Julia Schmidt-Funke: Der schillernde Begriff Anthropozän hat in den letzten Jahren Karriere gemacht. Er gibt den tiefgreifenden Auswirkungen menschlichen Lebens auf dem Planeten Erde einen Namen und fasst damit messbare Entwicklungen zusammen, die auch unter dem Begriff der Planetary Boundaries thematisiert werden. Darunter fällt beispielsweise der menschengemachte Klimawandel und der durch Menschen verursachte Rückgang von Biodiversität. Gerade dieser Tage geht ja durch die Presse, dass diese planetaren Grenzen bereits in vielen Bereichen überschritten sind.

Der Begriff Anthropozän leitet sich vom griechischen Wort für Mensch, anthropos, ab. Die Idee hinter dieser Wortschöpfung ist, dass der Planet Erde durch menschliches Handeln so stark verändert wird, dass man von einem neuen Erdzeitalter sprechen kann. Demzufolge leben wir nicht länger im Holozän, sondern eben im Anthropozän. Davon ausgehend ist das Anthropozän zu einem Schlüsselbegriff gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Debatten geworden, in denen es letztlich um die Verantwortung der Menschheit gegenüber ihrer Mitwelt geht.

Meine Disziplin, die Geschichtswissenschaft, ist in diesen Debatten nicht nur dann gefragt, wenn es um die Anfänge der heutigen Entwicklung geht. Geschichtswissenschaftliche Forschung kann beispielsweise auch sogenannte Renaturierungsprojekte begleiten oder aufzeigen, welche alternativen Umgangsformen mit Natur in der Vergangenheit bestanden.

 

Sie sind Mitorganisatorin des 54. Historikertages und diskutieren am 21. September auf einem Panel über das Anthropozän als Herausforderung für die Geschichtswissenschaften. Was bedeutet diese Veranstaltung für Sie als Frühneuzeithistorikerin und welche Fragen diskutieren Sie in der Runde?

Prof. Dr. Julia Schmidt-Funke: Der Historikertag ist eine der wenigen Veranstaltungen, auf der die gesamte Geschichtswissenschaft mit all ihren Subdisziplinen und Spezialisierungen zusammenkommt. Deshalb ist er enorm wichtig für die Einheit und das Selbstverständnis des Faches – hier kann man an aktuellen Forschungsdiskussionen teilhaben und sich über aktuelle Forschungsentwicklungen informieren. Einer der Konferenztage ist zudem für den Besuch von Schulklassen geöffnet.

Auf das Podiumsgespräch mit renommierten Kolleg:innen, die zu allen historischen Epochen arbeiten, freue ich mich schon sehr. Wir werden unter anderem diskutieren, welche Folgen das Anthropozänkonzept für unsere Disziplin hat, wie wir mit der Infragestellung des Anthropozentrismus umgehen können, welche Themen wir unter diesen Bedingungen auf die Agenda setzen wollen und welche Qualifikationen wir dafür benötigen. Es ist schon jetzt klar, dass die Geschichtswissenschaft nur im Verbund mit anderen Disziplinen eine Antwort auf die drängenden Fragen des Anthropozäns geben kann, aber gerade diese notwendige Inter- bzw. Transdisziplinarität erfordert meines Erachtens eine disziplinäre Verständigung über Möglichkeiten, Ziele und Grenzen.

 

Woran forschen Sie aktuell?

Prof. Dr. Julia Schmidt-Funke: Ich beschäftige mich schon seit längerem mit dem frühneuzeitlichen Mensch-Natur-Verhältnis. Anfangs stand dabei gelehrtes Naturwissen und religiöse Naturwahrnehmung im Vordergrund. Hierzu habe ich bereits publiziert und veranstalte im kommenden Jahr eine internationale Tagung, die sich einer Danziger Botanikerfamilie um 1700 in ihren transregionalen Netzwerken widmen wird.

Inzwischen geht es in meiner Forschung aber auch verstärkt um Prozesse, die im Englischen als resourcification bezeichnet werden. Mit diesem Fokus bin ich in das aktuelle Exzellenzvorhaben „New Global Dynamics“ eingebunden. In den zwei laufenden interdisziplinären Projekten „Leipzig, city in a state of flux“ und „Historische Anthroposphären“ beschäftigen meine Kolleg:innen und ich uns mit städtischem Wassermanagement im Mittelalter und der Frühen Neuzeit sowie mit historischen Landnutzungssystemen und historischer Biodiversität.

Zukünftig möchte ich solche Fragen auch stärker auf globaler Ebene erforschen, indem ich sie unter den Bedingungen des frühneuzeitlichen Kolonialismus und der mit ihm verbundenen christlichen Mission untersuche.

 

  • Zum Historikertag
    Mit etwa 2500 Teilnehmer:innen gilt die Veranstaltung als eine der größten im geisteswissenschaftlichen Bereich in Europa. Die Eröffnungsrede zum 54. Historikertags in Leipzig hielt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Schirmherr ist der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer.

    Die Gerda-Henkel-Stiftung stellt die Aufzeichnung der Podiumsdiskussion „Das Anthropozän als Herausforderung für die Geschichtswissenschaft“ auf dem L.I.S.A.-Wissenschaftsportal zur Verfügung.